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Phosphan-Vergiftung in Istanbul: Wie ein Bettwanzengift zu einem tödlichen Vergiftungsfall wurde. Blog#240

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Im November 2025 erkrankte eine deutsche Familie türkischer Abstammung mit zwei kleinen Kindern während ihres Aufenthalts in einem Hotel in Istanbul plötzlich schwer. Anfangs sah alles nach einer schweren Magen-Darm-Infektion aus: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall – der erste Verdacht lautete auf Lebensmittelvergiftung. Innerhalb weniger Stunden jedoch verschlechterte sich der Zustand dramatisch: Kreislauf und lebenswichtige Organe versagten trotz intensiver Behandlung. Die Mutter und die beiden Kinder verstarben noch am selben Tag, der Vater nach sechs Tagen auf der Intensivstation. Nach derzeitigem Kenntnisstand war die Familie einem hochgiftigen Gas ausgesetzt: Phosphan, das aus einem Schädlingsbekämpfungsmittel mit Aluminiumphosphid freigesetzt wurde, das im Hotel zur Bekämpfung von Bettwanzen eingesetzt worden sein soll. Aluminiumphosphid ist ein Feststoff, der in Form von Tabletten oder Pellets angewandt wird. Kommt er mit Feuchtigkeit in Berührung – etwa durch Wasser, Luftfeuchtigk...

Warum der globale Aktienmarkt langfristig wächst – und warum unsere Intuition uns dabei häufig täuscht. Blog#239

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Dieser Text basiert auf einem ausführlicheren Beitrag von Gerd Kommer ( hier ). Wenn Aktienmärkte über Jahre steigen, fragen sich viele: Kann das ewig so weitergehen? Intuitiv erscheint die Antwort „Nein“. Doch dieses Bauchgefühl trügt – zumindest, wenn es um den weltweit diversifizierten Aktienmarkt geht. Entscheidend ist, welche Fundamentalfaktoren langfristig steigende reale Renditen ermöglichen. 1. Global statt national denken Einzelne Märkte können dauerhaft scheitern – der Weltmarkt als Ganzes jedoch nicht. Verschiedene historische Beispiele zeigen das in unterschiedlicher Form: Russland nach der Revolution von 1917 und China nach 1949 verloren ihre Kapitalmärkte über Jahrzehnte hinweg vollständig, während Japan seit 1989 trotz marktwirtschaftlicher Kontinuität unter anhaltender Stagnation leidet.   Wer allein auf den Heimatmarkt setzt, begeht einen Denkfehler: Nur der globale Markt spiegelt die wirtschaftliche Aktivität der gesamten Menschheit wider. Börsennotierte Unternehm...

Enlicitide: Die erste orale PCSK9-Therapie zur wirksamen Cholesterinbehandlung. Blog#238

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Kurzfazit Ein oraler PCSK9-Hemmer galt als kaum realisierbar – ein Team von Medizinalchemikern bei Merck&Co (USA) hat dies erstmals ermöglicht. Enlicitide senkt LDL um etwa 60 % und erreicht damit das Niveau moderner PCSK9-Antikörper. Sicherheit und Verträglichkeit waren in den Studien vergleichbar mit Placebo. Kardiovaskuläre Erkrankungen gehören seit Jahrzehnten zu den zentralen Herausforderungen der modernen Medizin. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere Herzinfarkte und Schlaganfälle, bleiben weltweit die führenden Todesursachen. Einer der entscheidenden Risikofaktoren ist ein dauerhaft erhöhter LDL‑Cholesterinspiegel. Über viele Jahre hinweg fördert ein zu hoher LDL‑Wert unbemerkt die Bildung atherosklerotischer Plaques , wodurch sich die Arterien allmählich verengen – häufig ohne frühe Beschwerden. Statine haben diese Entwicklung bei Millionen Menschen deutlich verlangsamt und das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse erheblich gesenkt. Dennoch erreichen etwa die Hälfte bis ...

Saisonale Renditemuster bei Aktien – Chancen, Grenzen und Nutzen in der Entnahmephase. Blog#237

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Kaum ein anderes Börsenthema verbindet Statistik und Psychologie so eng wie die sogenannten Kalenderanomalien. Seit Jahrzehnten suchen Anleger nach Mustern, die wiederkehren und vermeintlich Renditevorteile bieten. Besonders bekannt sind „Sell in May and go away“ und die „Santa-Claus-Rally“, also die typische Jahresendrallye, bei der Aktienkurse in den letzten Dezembertagen häufig zulegen. Doch was zeigen die Daten wirklich? Was die Zahlen zeigen und mögliche Ursachen Eine Auswertung des S&P 500 von 1950 bis 2023 belegt deutliche Renditeunterschiede zwischen den Monaten: November: +1,8 % Dezember: +1,5 % April: +1,4 % September: –0,7 % Im Mittel lag die monatliche Rendite über den gesamten Zeitraum bei rund +0,7 %. Ähnliche Muster zeigen auch der MSCI World (starke Wintermonate) und der DAX (volatiler im Spätsommer). Mehrere Faktoren können saisonale Bewegungen erklären: Behavioral Finance: Jahresendoptimismus, Bonuszahlungen und „Window-Dressing“ führen häufig zu verstärkten Käufe...

So schaden negative Gedanken der Gesundheit - Der Nocebo-Effekt. Blog#236

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Unser Gehirn arbeitet wie ein permanentes Vorhersagesystem: Es prüft und prognostiziert ständig, was als Nächstes geschieht – und beeinflusst dadurch, was tatsächlich passiert. Was evolutionär überlebenswichtig war, kann sich heute auch nachteilig auswirken. Wer mit Schmerzen, Nebenwirkungen oder Misserfolg rechnet, aktiviert unbewusst Stress- und Schmerzsignale im Körper. Die Medizin bezeichnet dieses Phänomen als Nocebo-Effekt – abgeleitet vom lateinischen nocere („schaden“). Er ist das Gegenstück zum Placebo-Effekt – vom lateinischen placebo („ich werde gefallen“) – der zeigt, wie positive Erwartungen Heilung fördern können. Wie stark wirken negative Erwartungen? Sind Placebo- und Nocebo-Effekt gleich stark – oder überwiegt einer? Eine aktuelle Studie der Universität Duisburg-Essen ( LINK ) liefert darauf eine klare Antwort: Der Nocebo-Effekt ist stärker!  In der Untersuchung wurden 104 gesunde Freiwillige denselben Hitzereizen ausgesetzt, die im Durchschnitt als 60 Punkt...

Warum die Welt blau ist. Blog#235

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Blau gehört zu den faszinierendsten Farben der Natur – und zu den komplexesten in ihrer Entstehung. Der Himmel, das Meer, die Flügel des Morpho-Schmetterlings oder das Gefieder des Eisvogels zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig dieser Farbton erscheinen kann – von zartem Azur bis tiefem Ultramarin. Doch die meisten dieser Blautöne entstehen nicht durch Farbstoffmoleküle, sondern durch Physik: durch Streuung, Interferenz und fein strukturierte Oberflächen, die das Licht so beeinflussen, dass nur die kurzwelligen, energiereichen Anteile unser Auge erreichen. Blaues Licht liegt im sichtbaren Spektrum zwischen etwa 450 und 495 Nanometern – also im Bereich der energiereichsten sichtbaren Photonen.  Der Himmel erscheint blau, weil winzige Luftmoleküle kurzwelliges Licht rund viermal stärker streuen als langwelliges rotes – ein Effekt, der als Rayleigh-Streuung bekannt ist. So verteilt sich das blaue Licht gleichmäßig über den Himmel, während beim Sonnenuntergang nur noch die langwelligen...

Unerwarteter Durchbruch: COVID-19 mRNA-Impfstoffe entfesseln neues Potenzial in der Krebstherapie. Blog#234

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Die Behandlung fortgeschrittener Krebserkrankungen bleibt eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin. In den letzten Jahren hat die Immuntherapie, insbesondere der Einsatz von sogenannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs), vielen Patienten neue Hoffnung gegeben. Zu den bekanntesten ICIs zählen Antikörper gegen PD-1 (z. B. Nivolumab, Pembrolizumab) und gegen PD-L1 (z. B. Atezolizumab, Durvalumab), die die Bremsmechanismen des Immunsystems aufheben und so T‑Zellen zur Krebsbekämpfung aktivieren. Doch trotz dieser Fortschritte spricht ein beträchtlicher Teil der Betroffenen nicht auf die Behandlung an. Jetzt haben Forscher eine völlig unerwartete und bahnbrechende Entdeckung gemacht, die aus einem völlig anderen medizinischen Feld stammt: Die gängigen COVID-19-mRNA-Impfstoffe, die entwickelt wurden, um eine globale Pandemie zu bekämpfen, entfesseln eine bemerkenswerte synergetische Kraft, wenn sie mit Krebsimmuntherapien kombiniert werden . Dieser Zufallsfund hat das Potenz...

Künstliche Intelligenz in der Chemie: Wie intelligent sind große Sprachmodelle wirklich? Blog#233

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Die Leistungsfähigkeit großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) in der Chemie hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. LLMs sind KI-Systeme, die auf riesigen Textmengen trainiert werden und dadurch Sprache, Wissen und Zusammenhänge erfassen und wiedergeben können. Bekannte Beispiele sind ChatGPT oder Claude. Eine im Mai 2025 im renommierten Fachjournal Nature Chemistry veröffentlichte Studie ( LINK ) gibt nun erstmals einen umfassenden Einblick, wie gut diese Systeme tatsächlich in der Lage sind, chemisches Wissen nicht nur zu reproduzieren, sondern auch wissenschaftlich anzuwenden und zu interpretieren. Dafür entwickelte ein internationales Forschungsteam die Benchmark-Plattform  ChemBench , die über 2.700 realitätsnahe Aufgaben aus allen Bereichen der Chemie umfasst. Ziel war es, die Leistungsfähigkeit und Denkweise moderner KI-Modelle im direkten Vergleich mit menschlichen Chemikern zu untersuchen. KI-Modelle übertreffen Expertenwissen – wenn auch mit Einschränk...

Renditefalle Emotion – warum Psychologie über Vermögen entscheidet. Blog#232

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Der gefährlichste Gegner des Anlegers ist selten der Markt – meist ist es der eigene Kopf. Kursschwankungen sind harmlos im Vergleich zu den Ausschlägen unserer Gefühle. Gier, Angst und Selbstüberschätzung verzerren Urteile, steuern Entscheidungen und erzeugen Verhaltensmuster, die Rendite kosten. Diese „Renditefalle Emotion“ folgt klaren psychologischen Mechanismen – wer sie kennt, kann sie steuern. Das Duell der Systeme: Rationale vs. Intuitive Entscheidungsfindung Die Verhaltensökonomie nach Daniel Kahneman differenziert zwei fundamentale Systeme, die menschliches Denken und somit Anlageentscheidungen prägen: 1. System 1 (Intuition und Emotion) : Dieses System arbeitet schnell, intuitiv und emotional. Es erzeugt reflexartige Reaktionen und fühlt sich kognitiv leicht an . Am Kapitalmarkt äußert sich seine Dominanz in irrationalem Verhalten wie Panikverkäufen, impulsiver Gier oder unkritischem Vertrauen in externe Experten. 2. System 2 (Analyse und Rationalität) : Dieses System arbeit...

Chemie-Nobelpreis 2025: Architektur des Unsichtbaren – Wie Metall-Organische Gerüste (MOFs) die Chemie verändern. Blog#231

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Der Chemie-Nobelpreis 2025 geht an Susumu Kitagawa, Richard Robson und Omar M. Yaghi – sie haben mit den Metall-Organischen Gerüsten (Metal–Organic Frameworks, MOFs) eine völlig neue Klasse von Materialien geschaffen. MOFs sind künstlich aufgebaute „molekulare Architekturen“ mit außergewöhnlich hoher Porosität – ein Gramm davon kann eine innere Oberfläche größer als ein Fußballfeld besitzen. Diese enorme Fläche entsteht durch Milliarden winziger Hohlräume, deren Größe, Form und chemische Eigenschaften sich präzise steuern lassen. Man kann sich MOFs wie hochgeordnete Schwämme vorstellen, aufgebaut aus metallischen Knotenpunkten und organischen Verbindungsstücken. Ihre Poren lassen sich gezielt so gestalten, dass sie Moleküle aufnehmen, speichern oder freisetzen können – ein ideales Werkzeug für Chemiker, die Stoffe selektiv binden oder umwandeln möchten. Von Berliner Blau zur retikulären Chemie Ein frühes Beispiel solcher Netzwerkstrukturen war das Pigment Berliner Blau, das bereits im ...