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Glutamat und Umami: Biochemie, Neurophysiologie und Kulturgeschichte eines missverstandenen Moleküls. Blog#223

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Kaum ein Molekül ist so allgegenwärtig und zugleich so umstritten wie Glutamat. In der Küche verleiht es Speisen einen vollmundigen Geschmack , die wir als „ umami “ wahrnehmen. Im Nervensystem spielt es eine zentrale Rolle bei Lernprozessen, Gedächtnisbildung und der Steuerung der Motorik . Und doch wird Glutamat in der öffentlichen Wahrnehmung oft als problematischer Zusatzstoff angesehen. Wie passt das alles zusammen? Umami: Die fünfte Geschmacksrichtung Über viele Jahrzehnte nahm die Geschmacksforschung an, dass der Mensch lediglich vier Grundgeschmacksrichtungen – süß, sauer, salzig und bitter – unterscheiden könne. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieb der japanische Chemiker Kikunae Ikeda den Umami-Geschmack, der insbesondere durch Glutamat ausgelöst wird. Heute weiß man, dass Umami über spezifische Rezeptoren (T1R1/T1R3) auf den Geschmacksknospen der Zunge erkannt wird, wobei die Wahrnehmung durch die Synergie mit bestimmten Nukleotiden wie Inosinmonophosphat (IMP) verstä...

Welche Lithiumorotat-Dosierung könnte vor Alzheimer schützen? Blog#222

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In meinen drei letzten Blogs ( #219 , #220 und #221 ) habe ich beschrieben, dass niedrige Lithiumspiegel mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko in Verbindung gebracht wurden und dass eine gezielte Ergänzung daher als möglicher Ansatz diskutiert wird. Ausserdem habe ich gezeigt, dass Lithiumorotat gegenüber anderen Lithium-Salzformen Vorteile haben könnte. In diesem Beitrag gehe ich nun zwei Kernfragen nach: (1) Welche Lithiumorotat-Dosierung kommt als präventiver Ansatz gegen Alzheimer in Betracht? (2) Wie lässt sich diese praktisch umsetzen?  Dosierungsüberlegungen: 1 mg elementares Lithium täglich? Aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse: Klinische Studien : Mehrere randomisierte Studien bei Patienten mit MCI (Mild Cognitive Impairment, einer frühen Vorstufe der Demenz) zeigen, dass Lithiumcarbonat in niedrigen Serumspiegeln von 0,25–0,5 mmol/L (deutlich unter den psychiatrisch üblichen 0,6–1,2 mmol/L) über 12–36 Monate den kognitiven Abbau verlangsamte und Liquor-...

Lithiumorotat vs. Lithiumcarbonat: Unterschiede in Wirkung und Verteilung bei Alzheimer. Blog#221

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Lithiumpräparate haben seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Psychiatrie. Klinisch etabliert ist Lithiumcarbonat (LiC), das seit den 1970er-Jahren in vielen Ländern zur Behandlung bipolarer Störungen zugelassen ist. Lithiumorotat (LiO) hingegen besitzt keinen Arzneimittelstatus: In der EU, einschließlich Deutschland, darf es weder als Medikament noch als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden; in den USA ist es zwar als ‚dietary supplement‘ im Handel, jedoch ohne FDA-Zulassung. Trotz fehlender Zulassung wird LiO seit den 1970er-Jahren kontrovers diskutiert. Neuere präklinische Studien zu Alzheimer, die ich in Blog#219 und Blog#220 vorgestellt habe, deuten darauf hin, dass das begleitende Anion – Orotat im Unterschied zu Carbonat – die Gewebeverteilung von Lithium beeinflussen könnte. Sollte sich dies in klinischen Studien bestätigen, wäre es von grundsätzlicher Bedeutung für zukünftige Therapieansätze. Salzform und Dissoziation – mehr als nur eine Begleiterscheinung? Lithiu...

Mikrodosiertes Lithium: Wirkung auf Gehirn & Gesundheit! Blog#220

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Leitungswasser in Deutschland liefert nur Spuren an Lithium. Gezielt erhöhte Mikrodosen von Lithium könnten – nach aktuellem Forschungsstand – Biomarker und Krankheitsrisiken wie Alzheimer, bestimmte Krebserkrankungen und Suizid günstig beeinflussen.  Mit ‚Lithium‘ ist in diesem Blog stets das Lithium-Ion (Li⁺) gemeint!  Lithium ist ein natürliches Spurenelement, das durch Verwitterung in den Wasserkreislauf gelangt und in sehr kleinen Mengen auch in Lebensmitteln vorkommt. Für die tägliche Zufuhr ist Leitungswasser meist die wichtigste Quelle. In der Psychiatrie wird Lithium seit Langem in hohen Dosen (> 100 mg Lithium pro Tag) als Arzneistoff eingesetzt; darum geht es hier ausdrücklich nicht. Im Fokus steht die Mikrodosierung – also Mengen von etwa 0,3 bis 5 mg elementarem Lithium pro Tag, weit unterhalb der therapeutischen Dosierungen. Die Idee dahinter: gezielt einen Bereich zu erreichen, in dem Beobachtungsstudien und erste klinische Untersuchungen wiederholt positiv...

Alzheimer-Therapie mit Lithium: Stand der Forschung und offene Fragen. Blog#219

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Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz und betrifft weltweit über 55 Millionen Menschen. Trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung gibt es bis heute keine Behandlung, die das Fortschreiten der Erkrankung wirklich aufhalten kann. Die derzeit verfügbaren Medikamente lindern allenfalls Symptome oder verzögern den Verlauf ein wenig – eine ursächliche Therapie fehlt. Kürzlich haben jedoch aktuelle wissenschaftliche Arbeiten, unter anderem von der Harvard Medical School ( LINK ), neue Aufmerksamkeit auf den Lithiumgehalt im Gehirn gelenkt. Die zentrale Hypothese: Ein zu niedriger Lithiumspiegel könnte nicht nur eine Folge, sondern ein Risikofaktor für die Entstehung von Alzheimer sein. Erste präklinische Daten weisen außerdem darauf hin, dass bestimmte Lithiumsalze sowohl vorbeugende als auch therapeutische Effekte haben könnten. Lithium im Gehirn – Physiologische Rolle und Veränderungen bei Alzheimer Lithium ist vor allem als Wirkstoff gegen bipolare Störungen bekannt, ...

Metabolomik: Dein individueller Weg zu mehr Gesundheit! Blog#218

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Viele Menschen investieren bewusst in ihre Gesundheit – sie achten auf eine ausgewogene Ernährung, bewegen sich regelmäßig und führen ein diszipliniertes Leben. Und doch bleiben häufig Müdigkeit, hartnäckiges Übergewicht oder das Gefühl zurück, dass der eigene Körper aus dem Gleichgewicht geraten ist. Diäten, die bei anderen scheinbar mühelos wirken, zeigen bei ihnen keine Wirkung. Das ist kein persönliches Versagen – sondern Ausdruck einer grundlegenden biologischen Realität: Jeder Mensch ist biochemisch einzigartig. Universallösungen greifen daher zu kurz! Was aber, wenn du einen direkten Blick in die biochemische Steuerzentrale deines Körpers werfen könntest – um zu erkennen, welche Prozesse aus dem Takt geraten sind? Genau das ermöglicht eine junge, hochpräzise Wissenschaft: die Metabolomik. Sie liefert nicht bloß allgemeine Empfehlungen, sondern fundierte, datengestützte Einsichten – und damit den Schlüssel zu einer individuell abgestimmten Gesundheitsstrategie. Was ist das Metabo...

Moderne Methoden in der Antiinfektivaforschung: Entdeckung von Mandimycin und Lariocidin. Blog#217

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Die zunehmende Bedrohung durch multiresistente Erreger erfordert neue Ansätze in der Entwicklung antimikrobieller Wirkstoffe, also Substanzen, die Bakterien, Pilze oder andere Mikroorganismen hemmen oder abtöten. Die aktuellen Entdeckungen von Mandimycin und Lariocidin zeigen, wie moderne Genomik, Künstliche Intelligenz und synthetische Biologie die Suche nach neuartigen Antibiotika und Antimykotika vorantreiben. Herausforderungen und technologische Fortschritte bei der Entdeckung neuer Antiinfektiva Seit der Entdeckung des Penicillins 1928 war die Suche nach neuen Antibiotika und Antimykotika – also Wirkstoffe, die gezielt Bakterien (Antibiotika) oder Pilze (Antimykotika) bekämpfen – ein zentrales Anliegen der medizinischen Forschung. Antibiotika werden zur Behandlung schwerer bakterieller Infektionen wie Lungenentzündung, Sepsis, Tuberkulose oder bakterieller Meningitis eingesetzt. Antimykotika kommen insbesondere bei systemischen Pilzinfektionen zum Einsatz, wie sie etwa bei immunge...

Nachblutung ohne erkennbaren Grund? Wann eine Gerinnungsstörung vorliegen könnte. Blog#216

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Nach einem kleineren medizinischen Eingriff, etwa beim Zahnarzt, beim Hautarzt oder nach einer Polypenentfernung, scheint zunächst alles unproblematisch. Mitunter kommt es jedoch, oft erst Stunden oder Tage später, zu erneutem Bluten an der behandelten Stelle – und das, obwohl alle gängigen Gerinnungslaborwerte (wie Thrombozytenzahl, Quick/INR, aPTT) unauffällig waren.  Solche Fälle sind keineswegs selten. Blutungen trotz unauffälliger Standardwerte könnten auf Störungen in Teilen der Blutgerinnung hindeuten, die von routinemäßigen Tests nicht erfasst werden. Die Thrombozytenzahl liefert Informationen über die Menge der Blutplättchen, Quick/INR misst die Geschwindigkeit der Gerinnung nach äußeren Verletzungen (extrinsisches System), aPTT erfasst das intrinsische System, das bei inneren Verletzungen aktiviert wird. Was dabei jedoch ausgeklammert wird, sind beispielsweise Funktionsstörungen der Thrombozyten selbst, Veränderungen des von-Willebrand-Faktors oder Probleme beim Abbau von...

Wirkungsverstärker in der Arzneimittelforschung: Protektor- und Booster-Konzepte. Blog#215

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Arzneimittelresistenzen, enzymatischer Wirkstoffabbau und eingeschränkte Bioverfügbarkeit zählen zu den großen Herausforderungen der heutigen Medizin. Eine besonders innovative Lösung liefert die Anwendung von Boostern und Protektoren . Diese Begleitstoffe machen Medikamente wirksamer, sicherer und langlebiger – und gewinnen damit in der pharmazeutischen Forschung rasant an Bedeutung. Was sind Booster und Protektoren? Booster und Protektoren sind keine eigenständigen Wirkstoffe, sondern Unterstützer: Protektoren schützen den Hauptwirkstoff vor dem Abbau durch äußere Angriffe, indem sie zum Beispiel inaktivierende Enzyme blockieren. Booster hemmen Abbauwege oder Transportmechanismen im menschlichen Körper, wodurch die Wirkstoffkonzentration im Blut ansteigt und länger erhalten bleibt. Beide Prinzipien folgen einer gemeinsamen Idee: Die Therapie wirksamer zu machen, ohne neue Wirkstoffe entwickeln zu müssen. Trotz ähnlichem Endeffekt werden Protektoren und Booster aufgrund unterschiedl...

Hexastickstoff (N₆): Ein Meilenstein in der Stickstoffchemie und eine der energiereichsten bekannten Substanzen. Blog#214

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Molekularer Stickstoff (N₂) ist unter Normalbedingungen extrem stabil. Er macht rund 78% der Erdatmosphäre aus und gilt als chemisch weitgehend inert – eine Folge seiner kurzen, dreifach-gebundenen Zweierstruktur mit sehr hoher Bindungsenergie. Die Vorstellung, größere rein stickstoffhaltige Moleküle – sogenannte Polystickstoff-Verbindungen – synthetisch herzustellen, begleitet die anorganische Chemie seit Jahrzehnten. Solche Moleküle wären potenziell hochexplosiv, da ihr Zerfall ausschließlich zu N₂ führen und dabei sehr viel Energie freisetzen würde. Lange war die Existenz neutraler Stickstoffmoleküle mit mehr als zwei Atomen nur theoretisch vorhergesagt – zu instabil, zu schwer handhabbar. Nun ist einem Forschungsteam der Justus-Liebig-Universität Gießen erstmals der Nachweis und die Isolierung von Hexastickstoff (N₆) gelungen – ein lineares Molekül aus sechs Stickstoffatomen ( LINK ). Damit wurde ein seit Langem verfolgtes Ziel erreicht – und das öffnet neue Türen in der Stickstoff...