Neue innovative Medikamente für die Migräne Therapie – „CGRP Antagonisten“. Blog#3
Rund 13% aller Frauen und 7%
aller Männer in Deutschland leiden an Migräne.
Für die Behandlung des akuten
Migräneanfalls werden bislang standardmäßig Triptane verwendet, die für diese
Indikation bereits in den 90-er Jahren zugelassen wurden. Zur vorbeugenden (prophylaktischen)
Behandlung von Migräneattacken sind die Triptane nicht geeignet und daher werden
bisher hauptsächlich Betablocker, Antidepressiva, Kaziumkanal-Antagonisten, Botox
eingesetzt, alles Medikamente die ursprünglich für ganz andere
Anwendungsgebiete entwickelt wurden.
Eine neue spezifische Klasse
von Migräne-Medikamenten, CGRP-Rezeptorantagonisten, CGRP-Antikörpern und
CGRP-Rezeptor-Antikörpern, wurde in den letzten Jahren zugelassen.
Wie wurden diese neuen Medikamente entwickelt, was ist der Nutzen dieser neuen Klasse und werden diese neuen Medikamente die Migränetherapie revolutionieren? Diese Fragen werde ich in diesem Blog beantworten.
CGRP-Hypothese – wie alles begann
Zwei Migräneforscher aus Lund
(Schweden) und Sydney (Australien) machten im Jahr 1990 ein einfaches
Experiment: sie nahmen Blutproben aus der Halsvene von 16 Frauen und 6 Männern, vor
und während einer Migräneattacke, um zu prüfen ob sich eine Änderung beobachten lässt.
Nur für eine Substanz,
Calcitonin Gene Related Peptide (abgekürzt CGRP), konnten sie eine signifikante
Änderung beobachten. Die Blutplasmakonzentration von CGRP war während der Migräneattacke
signifikant erhöht. Anschließend zeigten die beiden Forscher, dass die
intravenöse Infusion von CGRP zu einer Migräneattacke führt, ein weiteres Indiz dafür, dass CGRP am Migränegeschehen beteiligt ist.
CGRP ist ein aus 37
Aminosäuren bestehendes Neuropeptid, ein körpereigener Botenstoff, der von
Nervenzellen ausgeschüttet wird und gefäßerweiternd wirkt.
Was hat das Ganze nun mit einer
schmerzhaften Migräneattacke zu tun? Die oben beschriebenen Ergebnisse könnten dadurch erklärt werden, dass eine übermäßige
Ausschüttung des Neuropeptids CGRP und die daraus resultierende Aktivierung
von CGRP-Rezeptoren zum Migränekopfschmerz führt (CGRP-Hypothese; siehe Schema 1).
Klinische Bestätigung der CGRP-Hypothese
Inspiriert durch die Veröffentlichung dieser klinischen Ergebnisse begannen Wissenschaftler in Biberach (Deutschland) Anfang der 90-er Jahre mit der Suche nach CGRP-Rezeptorantagonisten. Diese Substanzen sollten an den CGRP-Rezeptor binden, ihn aber nicht aktivieren (d.h. antagonistisch wirksam sein). Die gezielte Blockade des Rezeptors verhindert (größtenteils) die Aktivierung durch den Neurotransmitter CGRP und somit, gemäß der CGRP-Hypothese, auch den Migränekopfschmerz (siehe Schema 1).
Schema 1: CGRP-Hypothese und Wirkweise von CGRP-Rezeptorantagonisten.
Hochwirksame CGRP-Rezeptor-Antagonisten waren schließlich Mitte der 90-er Jahre verfügbar und mit einer ausgewählten Verbindung, Olcegepant, konnten erstmals klinische Untersuchungen an Migräne-Patienten durchgeführt werden. Intravenös verabreichtes Olcegepant war sehr gut verträglich und bewirkte, wie erhofft, eine deutliche, signifikante Reduktion des Migränekopfschmerzes während einer Migräneattacke!
Durch diese klinische Studie
konnte erstmals die Bedeutung der überschießenden CGRP-Ausschüttung für das Migränegeschehen
(CGRP-Hypothese) bewiesen werden!
Da Olcegepant aufgrund seiner Moleküleigenschaften (Molekulargewicht 870 g/mol; hohe Polarität) nicht
oral verfügbar war und andere, im Patientenalltag breit anwendbare Formulierungen
(Nasenspray, Lungeninhalator, subkutane Injektion) nicht den gewünschten Erfolg
zeigten, wurde die Entwicklung dieser Verbindung eingestellt.
Entwicklung eines oral verfügbaren Calcitonin Gene Related-Peptide-Rezeptorantagonisten (Gepant)
Einen oral verfügbaren,
potenten CGRP-Rezeptorantagonisten (Gepant) mit geeignetem Nebenwirkungsprofil für die akute
Migränetherapie zu entwickeln erwies sich als extrem ressourcen-
und zeitaufwändig! Hauptgründe sind die komplexe Struktur des CGRP-Rezeptors (Heterodimer
aus einem GPCR Klasse B Rezeptor und einem weiteren Protein, RAMP1) und die für
die therapeutische Wirkung notwendigen sehr hohen Blutplasmaspiegel des Wirkstoffs (Interessierte
finden hier weitere Details).
Weltweite, intensive Forschungs-
und Entwicklungsarbeiten mehrerer Pharmafirmen über Jahrzehnte
hinweg und die damit verknüpften iterativen Lernprozesse führten schließlich zum Erfolg. In den Jahren 2019/2020 wurden die CGRP-Rezeptor-Antagonisten Ubrogepant und Rimegepant in den USA für die orale Therapie der akuten Migräne zugelassen, gefolgt in 2021 von Atogepant, einem Gepant zur
vorbeugenden Behandlung der episodischen Migräne.
Ubrogepant (Ubrelvy®; Allergan) und Rimegapant (Nurtec®; Biohaven)
- zeigen in klinischen Studien vergleichbar gute Wirkung wie die bislang als Standardtherapie verwendeten Triptane (jeder 5. Patient schmerzfrei nach 2 Stunden).
- Allerdings ist das Nebenwirkungsprofil der Gepante viel günstiger als das der Triptane: keine Nebenwirkungen des zentralen Nervensystems, wie Schwindel, oder des Herz-Kreislaufsystems, wie die gefäßverengenden Effekte, die sich durch ein Engegefühl in der Brust bemerkbar machen.
- Weiterer großer Vorteil ist, dass die Gepante als Akut-Medikament häufig (täglich) eingenommen werden können, ohne dass es wie bei den Triptanen beobachtet, zu „Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerzen“ oder nachlassender Wirkung kommt.
- Preis pro Nurtec-Tablette in den USA: ca. 100 USD.
Atogepant (Qulipta®, AbbVie)
- ist derzeit der einzige orale CGRP Antagonist der für die vorbeugende (prophylaktische) Behandlung von episodischer Migräne in Erwachsenen zugelassen ist. Die 12-Wochen lange tägliche Gabe von Atogepant an Erwachsene mit 4-14 Migränetagen/Monat führte zu einer Halbierung der Schmerztage (-4 Schmerztage pro Monat versus Placebo mit -2.5 Schmerztage pro Monat).
- Ein direkter Vergleich der Wirksamkeit von Atogepant mit den CGRP-Antikörpern/CGRP-Rezeptor-Antikörpern ist derzeit nicht verfügbar.
In Deutschland ist bislang keines dieser Gepante zugelassen!
Monoklonale Antikörper zur Prophylaxe von Migräne
Ein alternativer Ansatz für die Beeinflussung des CGRP-Signalweges sind Antikörper-Wirkstoffe. Antikörper sind hochmolekulare Proteine aus der Klasse der Globuline, und zwei Ansätze für die Migränetherapie wurden parallel verfolgt (siehe Schema 2):
- Antikörper die an den Neurotransmitter CGRP binden und damit „abfangen“ (“CGRP-Antikörper”), sowie
- Antikörper die, ähnlich wie die Gepante, an den CGRP-Rezeptor binden und dadurch blockieren (“CGRP-Rezeptor-Antikörper”).
Konzeptionell bieten Antikörper, aufgrund ihrer langen Wirkdauer (mehrere Wochen bis zu mehreren Monaten; niedermolekulare Verbindungen zeigen Wirkdauern im 1-24 Stunden Bereich), sehr gute Voraussetzungen für die Migräneprävention.
Schema 2: Schematische Darstellung der Angriffspunkte von Gepanten, CGRP-Antikörpern und CGRP-Rezeptor-Antikörper. Das Molekulargewicht der Gepante beträgt ca. 500 g/Mol, das von Antikörpern ca. 146000 g/Mol (d.h. Antikörper sind um Faktor 292 “schwerer” als Gepante).
Obgleich die Forschung und Entwicklung dieser monoklonalen Antikörper erst ca.10 Jahre nach den Arbeiten an niedermolekularen Gepanten begann, konnten bereits ab Mitte 2018 drei in der EU zugelassene Medikamente zur Prophylaxe von Migräne bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat zugelassen werden. Alle drei Antikörper müssen mittels eines Fertigpens bzw. einer Fertigspritze unter die Haut (subkutan) injiziert werden:
- Erenumab (Aimovig®; Novartis); EU-Zulassung in 2018, CGRP-Rezeptor-Antikörper, Dosierung alle 4 Wochen.
- Galcanezumab (Emgality®; Eli Lilly); EU-Zulassung in 2018, CGRP-Antikörper CGRP, Dosierung alle 4 Wochen.
- Fremanezumab (Ajovy®, Teva); EU-Zulassung in 2019, CGRP-Antikörper, Dosierung alle 3 Monate.
Aufgrund der relativ
hohen Kosten (Jahrestherapiekosten: ca. 5500 Euro) sollen diese Medikamente nur
dann verordnet werden, falls die bisherigen (kostengünstigeren)
Migräneprophylaktika unwirksam sind.
Die bislang publizierten Daten zu Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil sind für alle drei Antikörper vergleichbar:
- Etwa 30% der Patienten, die bisher nicht ausreichend auf frühere vorbeugende Behandlungsmaßnahmen angesprochen haben, können eine Reduktion der Migräneattacken um 50% oder mehr erwarten.
- wer zu den 30% Respondern gehört, kann bislang nicht vorhergesagt werden
- eventuell weiterhin auftretende Migräneattacken können mit Akutmedikamenten behandelt werden.
- schneller Wirkeintritt (innerhalb von wenigen Tagen),
- langsame Aufdosierung wegen eventueller Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen nicht erforderlich,
- keine/ sehr geringe Nebenwirkungen (bei bisherigen Prophylaktika können u.a. Gewichtszunahme, Stimmungsveränderungen, Müdigkeit, Antriebsreduktion auftreten).
Mein Fazit:
- Die neu entwickelten oral verfügbaren CGRP-Rezeptorantagonisten (Gepante) bzw. die Antikörper (CGRP-Antikörper und CGRP-Rezeptor-Antikörper) zeigen gute Wirksamkeit für die Migräne-Akuttherapie bzw. Migräne-Prophylaxe und sind sehr gut verträglich/praktisch nebenwirkungsfrei.
- Diese neuen Medikamente sind keine Wundermittel, können aber insbesondere für Patienten bei denen die bisherigen Standardtherapeutika nicht ausreichend wirken oder wegen Nebenwirkungen kontraindiziert sind, ein Segen sein.
Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönliche Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.