Cannabis besteht aus einem sehr komplexen Gemisch hunderter natürlicher Inhaltsstoffe - definierter chemischer Verbindungen aus der Klasse der Phyto-Cannabinoide, Terpene und Flavinoide - wobei die genaue Zusammensetzung dieser Mischung sich je nach Anbaubedingungen und Erntezeitpunkt ändert (siehe auch Blog letzter Woche).
Jede dieser Verbindungen hat ein unterschiedliches pharmakologisches Profil und wird von körpereigenen Enzymen unterschiedlich abgebaut (metabolisiert). Dadurch entstehen weitere chemische Verbindungen mit eigenem Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil, die schließlich aus dem Körper ausgeschieden werden.
Die zwei wichtigsten chemischen Inhaltsstoffe der Cannabis Pflanze sind das Cannabidiol (CBD) und das psychoaktive delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC).
Abb. 1: Chemische Struktur von CBD und THC.
In diesem zweiten Teil des „Cannabis Blog“ geht es um folgende Themen:
- welche gesicherten Erkenntnisse gibt es zu einer therapeutischen Wirkung von CBD und THC,
- welche weiteren Chancen bietet das Endo-Cannabinoid-System für die Therapie komplexer Erkrankungen und
- um die von der Ampel-Koalition geplante "Cannabis Legalisierung".
Fazit / Zusammenfassung
- Cannabis weist eine sehr komplexe und von Anbaubedingungen und Erntezeitpunkt abhängige Zusammensetzung chemischer Verbindungen (> 200 Naturstoffe) auf. Daher ist nur die Verwendung einzelner, definierter chemischer Inhaltsstoffe wie CBD und THC als Arzneistoff sinnvoll.
- Selbst die Einzelverbindungen CBD und THC sind "dirty drugs", d.h. zeigen ein komplexes pharmakologische Profil ("pleiotrope Wirkung") und komplexe Verstoffwechselung (Metabolisierungsmuster).
- CBD und THC sind in wenigen, eng begrenzten Indikationen als Arzneimittel zugelassen. Die häufig beschriebenen Wirkungen von CBD oder THC in einer Vielzahl von Indikationen konnten bislang nicht in kontrollierten klinischen Studien bestätigt werden! Zukünftige klinische Studien werden zeigen, ob der derzeitige „Hype“ um CBD und/oder THC als Arzneimittel gerechtfertigt ist.
- Die geplante Legalisierung von Cannabis als Genussmittel für Erwachsene ist, strikte Kontrolle des Anbaus und der Weitergabe vorausgesetzt, vergleichsweise einfach umzusetzen.
CBD als Arzneimittel
CBD, als definierte chemische Verbindung, hat eine pleiotrope Wirkung (Wirkungen und Nebenwirkungen werden durch eine Vielzahl unterschiedlicher Wege ausgelöst; siehe Abb. 2).
Abb. 2: Pleiotrope Wirkung von CBD.
CBD ist - in Kombination mit dem Antiepileptikum Clobazam - als "orphan drug" für zwei sehr seltene, bei Kindern auftretende, Epilepsie Erkrankungen (Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS), Dravet-Syndrom (DS)) seit Oktober 2019 in der EU als verschreibungspflichtiges Arzneimittel (Epidyolex) zugelassen (Dosierung: 2.5 mg/kg bid bis 5 mg/kg bid; kann bei Bedarf auf bis zu 12.5 mg/kg bid erhöht werden).
Es wird vermutet, dass die beobachtete therapeutische Wirksamkeit durch die Wechselwirkung von CBD mit dem spannungsgesteuerten Ionenkanal VDAC1 (voltage-dependent anion-selective channel protein 1) auf den Mitochondrien herrührt.
Für CBD wurden allerdings auch pharmakokinetische Interaktionen mit anderen Antiepileptika, insbesondere Clobazam, festgestellt und so könnte die beobachtete Wirkung von CBD in Kombination mit Clobazam für LGS und DS-Patienten auch teilweise oder vollständig durch die Erhöhung der Plasmaspiegel von Clobazam zu erklären sein!
CBD wird im menschlichen Körper durch das Cytochrom P450 Enzymsystem metabolisiert (verstoffwechselt). Maßgeblich beteiligt sind die sogenannten CYP3A4 und CYP2C19 Isoenzyme und es kann daher nach CBD Einnahme zu einer unerwünschten Änderung beim Abbau/Metabolisierung gleichzeitig eingenommener anderer Arzneimittel kommen (siehe Appendix 2 und 3)!
Für CBD werden weitere vielfältige Wirkungen (gegen Krebs, Alzheimer, Parkinson, Morbus Crohn, chronischen Schmerzen, Corea Huntington, Autismus etc.) postuliert, für die der Wirkstoff nicht zugelassen ist (siehe Appendix 1). Wichtig zu wissen: CBD ist ausschließlich für LGS und DS zugelassen, für die Verwendung von CBD in weiteren Indikationen gibt es derzeit keinen gesicherten Wirknachweis!
THC als Arzneimittel
THC ist der wichtigste psychoaktive Inhaltsstoff von Cannabis (für weitere Details siehe Teil 1 dieses Blogs).
THC vermittelt seine psychoaktive Wirkung durch die Aktivierung von CB1-Rezeptoren im Gehirn, weiterhin bindet THC an die CB2-Rezeptoren, wirkt antagonistisch auf 5-HT3 Rezeptoren (welche am Brechreiz beteiligt sind) und weiteren pharmakologischen Angriffspunkten. Damit zeigt THC, ähnlich wie CBD, ein komplexes pharmakologisches Wirkprofil ("pleiotrope Wirkung").
THC (Dronabinol) ist für die Behandlung von Anorexie (Appetitlosigkeit) und Kachexie (krankhafte Abmagerung) bei AIDS und als Antiemetikum (Brechreiz unterdrückend) im Rahmen der Krebstherapie zugelassen.
Nabilon, eine vollsynthetische Variante von THC ist seit 2017 in Deutschland als Antiemetikum für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie, sofern andere antiemetische Behandlungen nicht adäquat wirksam sind, zugelassen.
Chemische Struktur und CB-Rezeptoraffinitäten von THC (Dronabinol) und Nabilon
THC wird im Menschen durch die Cytochrom P450 Enzyme 2C9, 2C19 und 3A4 zum ebenfalls psychoaktiven Metaboliten 11-Hydroxy-delta9-THC und dann weiter zum nicht psychoaktiven 11-Carboxy-delta9-THC verstoffwechselt.
CYP2C9 und CYP3A4 vermittelte Metabolisierung von delta-9-THC.
Weiterhin befindet sich THC derzeit in klinischer Testung für die Behandlung von Glaukomen, des Tourette-Syndroms und Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.
Kombination von CBD und THC als Arzneimittel - Sativex
Sativex, eine fixe Kombination von CBD und THC wird als inhalatives Spasmolytikum bei multipler Sklerose mit mittelschwerer bis schwerer Spastik angewandt (ein Sprühstoss von 100 uL enthält 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD).
Endo-Cannabinoid-System (ECS): weitere therapeutische Ansatzpunkte
Die gezielte Beeinflussung des ECS bietet weitere attraktive Ansatzpunkte für die Therapie komplexer Erkrankungen. Untenstehende Tabelle enthält eine Zusammenfassung zugelassener und in klinischer Erprobung befindlicher Substanzen die das ECS gezielt beeinflussen.
Tabelle: Übersicht der zugelassenen und in klinischer Prüfung befindlichen Substanzen für die gezielte Beeinflussung des ECS.
Anmerkungen /Updates zu Tabelle 1:
- Lenabasum (JBT-101): ein strukturelles Analogon von THC zeigte in einer Phase III Studie keine signifikante Wirksamkeit für die Behandlung von Dermatomyositis und erwies sich in klinischen Phase II Untersuchungen unwirksam für die Behandlung von Cystischer Fibrose.
Chemische Struktur von Lenabasum
- Es wurden mehrere, in dieser Tabelle nicht aufgeführte, Fettsäureamid-Hydrolase Inhibitoren (FAAH-Inhibitoren) klinisch für die Schmerztherapie getestet; bislang jedoch ohne Erfolg.
Geplante Legalisierung von Cannabis
Die Ampelkoalition plant die Legalisierung von Cannabis als Rausch-/Genussmittel für Erwachsene. Bei meiner Recherche zu diesem Thema fand ich den sehr gut ausgearbeiteten Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes der im März 2015 von Bündnis90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht wurde und sicherlich auch als Grundlage für eine aktualisierte Version dienen wird. Von meiner Seite verbleiben daher lediglich einige wenige Fragen: - Wie wird die Produktion und Qualitätskontrolle organisiert?
- pro Jahr werden ca. 400 Tonnen Cannabis konsumiert. Voraussichtlich wird die inländische Produktion und Qualitätskontrolle dieser Menge problemlos möglich sein.
- Wie wird Cannabis zugänglich gemacht /Vertriebsweg?
- Apotheken und/oder lizensierte Geschäfte?
- Wie hoch ist der Preis von legalem Cannabis?
- Preis sollte nicht über dem Schwarzmarktpreis (ca. 10 Euro/g) liegen.
- Festsetzung des THC Grenzwerts für Teilnahme am Strassenverkehr?
- Derzeit liegt der Grenzwert bei sehr niedrigen 1ng/mL (Niederlande 3ng/mL); je nach Konsummuster ist im Blut der Nachweis von aktivem THC ca. 12 bis 72 Stunden nach Konsum möglich; Grenzwert sollte angepasst werden.
- Wer ist für die Kontrolle der Produktionsbetriebe und Vertriebswege verantwortlich?
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönliche Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.
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Appendix:
Appendix 1: Potentielle pharmakologische Effekte einzelner Cannabinoide
Appendix 2: CYP P450 vermittelte Interaktionen von CBD, Cannabis und THC (Dronabinol)
Appendix 3