Cannabis, THC und CBD als Rausch- und Arzneimittel (Teil 1). Blog#5
Der Gebrauch von Cannabis als Rausch- und Arzneimittel wird seit vielen Jahrhunderten kontrovers in Wissenschaft, Medizin und in der Politik, diskutiert. Und doch gibt es vergleichsweise wenige wissenschaftlich seriöse Studien über die Cannabis-Pflanze, ihre Wirkstoffe („Phyto-Cannabinoide“) und ihre Fähigkeit, die menschliche Physiologie zu verändern.
In diesem Blog stelle ich den aktuellen Wissensstand zu pflanzlichen (Phyto-) und körpereigenen (Endogenen-) Cannabinoiden vor.
In einem der nächsten Blogs geht’s dann um Cannabinoid-basierte Arzneimittelforschung, dem Potential von Cannabinoiden zur Therapie komplexer Erkrankungen und um die von der Ampelkoalition geplante kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken.
Zusammenfassung:
- Geschichte der Hanfpflanze:
- Die Hanfpflanze, lateinisch Cannabis sativa, wird für medizinische und bewusstseinsverändernde Zwecke seit mehr als vier Jahrtausenden eingesetzt.
- Unterschied zwischen „legalem Nutzhanf“ und „illegalem Hanf“?
- Cannabis sativa Sorten mit sehr niedrigem THC-Gehalt (weniger als 0,2 % THC bezogen auf das Trockengewicht) werden als Nutzhanf bezeichnet, Sorten mit höherem THC-Gehalt fallen unter das Betäubungsmittelgesetz.
- Was sind die wichtigsten Inhaltsstoffe?
- Verantwortlich für die Wirkungen im menschlichen Körper sind chemische Verbindungen, die als phyto-Cannabinoide bezeichnet werden; etwa 100 sind bekannt, die zwei wichtigsten sind Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).
- Wie wirken Phyto- und Endogene-Cannabinoide?
- Die Cannabinoide entfalten im menschlichen Körper ihre Wirkung (hauptsächlich) über die Aktivierung von Cannabinoid (CB1- und CB2)-Rezeptoren.
Älteste Nutzpflanze mit >4800 Jahre alter Geschichte
Der gewöhnliche oder echte Hanf (Cannabis sativa) gilt als eine der ältesten vom Menschen angebauten Pflanzen und spielte eine wichtige Rolle in vielen alten Zivilisationen von China über Indien bis hin zum Nahen Osten. Das älteste Arzneibuch der Welt, das Pen-ts'ao ching, berichtete bereits 2.700 v. Chr. über seine Verwendung bei rheumatischen Schmerzen, Verstopfung und Erkrankungen des weiblichen Fortpflanzungssystems.
Die Verwendung von Cannabis für bewusstseinsverändernde und medizinische Zwecke wurde von den Assyrern um das zweite Jahrtausend v. Chr. untersucht, wo es als ganzi-gun-nu ("die Droge, die den Geist wegnimmt") bezeichnet und ein zentrales Thema in der arabischen Poesie des Mittelalters veranschaulicht wurde.
In Europa wurde Cannabis von napoleonischen Soldaten eingeführt, die aus Ägypten zurückkehrten, und britischen Soldaten, die aus Indien zurückkehrten. Berühmte Intellektuelle der Ära beschrieben die „grundlose Fröhlichkeit“ und „Verzerrung von Farben und Klängen“ sowie die Trennung von Ideen, Zeit- und Raumfehler und die Fluktuation der Emotionen, die mit dem Rauchen von Cannabis verbunden sind.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in den westlichen Zivilisation der Gebrauch von Cannabis aus politischen Gründen weitestgehend untersagt.
Was ist der Unterschied zwischen „legalem Nutzhanf“ und „illegalem Hanf“?
Es gibt Hunderte verschiedener Sorten von Cannabis Sativa. Der Unterschied zwischen legalem und illegalem Hanf liegt im chemischen Profil der Pflanzen. Hanfsorten, bei denen der THC-Gehalt unter 0.2% liegt, dürfen in Form von Nutzhanf seit 1996 unter bestimmten Auflagen angebaut werden.
Landwirtschaftliche Unternehmen dürfen explizit einen EU-zertifizierten Nutzhanf anbauen und damit handeln. Kleingärtner oder Gewerbetreibende benötigen eine rechtliche Genehmigung für den Anbau, Privatpersonen dürfen definitiv keinen Hanf oder Nutzhanf anbauen.
Nutzhanf wird vielfältig genutzt werden, so zB als Dämmmaterial in der Bauwirtschaft, in Lebensmittel und Kosmetika und für die Herstellung von Textilien.
Was sind die aktiven Inhaltsstoffe in Cannabis?
Die Cannabis-Sativa-Pflanze enthält im Harz der oberen Blättern und Blütenknospen und in den getrockneten Blättern und Blütenköpfe eine Vielzahl (ca. 100) von Phyto-Cannabinoiden sowie etwa 120 nichtcannabinoide Naturstoffe (zB Terpene und Flavinoide). Der Anteil der unterschiedlichen Inhaltsstoffe von Cannabis variiert stark und ist u.a. abhängig von der geographischen Herkunft und Lagerung.
Cannabis enthält also eine wahrlich komplexe Mischung vielfältiger chemischer Verbindungen!
Die zwei wichtigsten Phyto-Cannabinoide sind:
- Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC)
- (6aR, 10aR)-delta-9-tetrahydrocannabinol, häufig auch vereinfacht als Δ9-THC oder THC bezeichnet, wurde erstmals 1964 isoliert und strukturell aufgeklärt. THC ist das wichtigste und am besten erforschte Cannabinoid und ganz maßgeblich für die berauschende Wirkung verantwortlich. Besonders reich an THC (etwa 2 bis 30%) sind die unbefruchteten weiblichen Blüten; der THC-Gehalt der übrigen Pflanzenteile ist weitaus geringer (etwa 1%). THC kann zwar (teil)synthetisch im Labor hergestellt werden, allerdings ist die direkte Extraktion aus THC-reichen Cannabis Sorten (die eine Biosyntheseleistung von 18 bis 22% aufweisen) deutlich effizienter und kostengünstiger.
- Cannabidiol (CBD)
- 2-[(1R,6R)-3-Methyl-6-prop-1-en-2-yl-1-cyclohex-2-enyl]-5-pentylbenzo-1,3-diol, abgekürzt auch als (−)-trans-Cannabidiol oder CBD bekannt, ist der zweitwichtigste Bestandteil von Cannabis sativa. CBD wurde erstmals 1940 isoliert, die Struktur konnte jedoch erst 30 Jahre später vollständig geklärt werden. Obgleich CBD und THC strukturell sehr nahe verwandt sind (beide Phyto-Cannabinoide haben die gleiche Summenformel C21H30O2), besitzt CBD keine der psychoaktiven Eigenschaften des THC.
- CBD zeigt ein extrem komplexes pharmakologisches Profil! Es zeigt schwachen partiellen Agonismus am CB2-Rezeptoren (kann jedoch diese agonistische Aktivität über einen ungeklärten Mechanismus auch blockieren), wirkt als Antagonist an dem GPR55 Rezeptor, dessen physiologische Rolle noch nicht geklärt ist, zeigt Wirkung auf den spannungsgesteuerten Ionenkanal VDAC1 und auf die Apoptose von T-Lymphozyten.
- Für CBD sind entkrampfende, entzündungshemmende, angstlösende und gegen Übelkeit gerichtete Wirkungen beschrieben. Im Teil 2 dieses Blogs werde ich die Wirksamkeit von CBD für die Therapie komplexer Erkrankungen detaillierter diskutieren.
Warum und wie wirkt THC im menschlichen Körper als Rauschmittel? Entdeckung des Endogenen-Cannabinoid-Systems (ECS) - eines neuartigen Nervensystems!
Nachdem Mitte der 1960er Jahre THC als wichtigster psychoaktiver Wirkstoff in Cannabis identifiziert wurde, stellte sich die Frage warum und wie THC im Körper wirkt.
Aufgrund seiner Wirkung lag
es nahe anzunehmen, dass THC an Rezeptoren des Gehirns bindet aber erst, mehr
als 20 Jahre später, im Jahre 1990 konnte ein neuer Rezeptor, der Cannabinoid
Rezeptor 1 (CB1-Rezeptor), mit einer spezifischen THC Bindungsstelle
identifiziert werden. Nochmals drei Jahre später fand man einen weiteren
strukturell verwandten Rezeptorsubtyp, den Cannabinoid Rezeptor 2
(CB2-Rezeptor).
- Der CB1 Rezeptor findet sich vorwiegend in Nervenzellen. Am häufigsten kommt er im Kleinhirn, in den Basalganglien sowie im Hippocampus vor.
- THC bindet mit hoher Affinität an die CB1-Rezeptoren (Ki = 10 nM; partieller Agonist) und etwas schwächer an die CB2-Rezeptoren (Ki = 24 nM; partieller Agonist). Die beobachteten physiologischen Reaktionen nach THC-Konsum, wie reduzierter Stress, erhöhter Appetit und Euphorie, können zwanglos durch die Aktivierung der im Gehirn befindlichen CB1-Rezeptoren erklärt werden.
- Im Tiermodell wirkt THC zusätzlich antagonistisch auf 5-HT3 Rezeptoren, welche am Brechreiz beteiligt sind und auf andere pharmakologische Ziele, wie zB auf Capsaicin empfindliche perivaskuläre sensorische Nerven.
- Der CB2 Rezeptor findet sich dagegen vorwiegend auf Zellen des Immunsystems und auf Zellen, die am Knochenauf- und -abbau beteiligt sind.
Aber wofür gibt es im Körper die CB1- und CB2 Rezeptoren? Sicherlich nicht um die physiologischen Effekte von THC, CBD oder anderer Phyto-Cannabinoide zu vermitteln. Es muss körpereigene Stoffe (Liganden) geben, die diese Rezeptoren zur Signalübertragung nutzen!
Weitere Forschungsarbeiten führten schließlich in den 1990-er Jahren zur Identifizierung zweier körpereigener (endogener) Liganden - Arachidonoylethanolamid (Anandamid oder AEA) und 2-arachidonylglycerol (2-AG) - für die CB1- und CB2 Rezeptoren und damit auch zur Entdeckung eines neuartigen körpereigenen Nervensystems - dem sogenannten Endogenen-Cannabinoid-Systems (ECS)!
Das ECS in seiner rudimentärsten Form besteht aus den Cannabinoid-Typ-I (CB1) und Cannabinoid-Typ-II (CB2)-Rezeptoren und ihren natürlichen Liganden, den Endo-Cannabinoiden AEA und 2-AG.
Dass Phyto-Cannabinoide, wie THC, an die CB1- und/oder CB2-Rezeptoren binden und dadurch das ECS modulieren, d.h. physiologische Reaktionen hervorrufen, ist letztendlich eine Laune der Natur!
AEA ist ein Partialagonist (bindet an Rezeptor aktiviert aber nur unvollständig die nachgeschalteten Signaltransduktionswege) an beiden CB-Rezeptoren wohingegen 2-AG ein voller Agonist für CB1- und CB2-Rezeptoren ist. Wer sich für weitere Details zur Regulation des ECS interessiert dem empfehle ich die Lektüre der u.a. Literatur; 1. und 2.).
Das Endo-Cannabinoid-System zeigt, im Vergleich zu anderen Nervenübertragungssystemen, interessante und einzigartige Eigenschaften:
- die Endo-Cannabinoide AEA und 2-AG können aufgrund ihrer hohen Lipophilie nicht wie andere Botenstoffe in Vesikeln gespeichert werden, sondern werden bei Bedarf aktivitätsabhängig durch den den Anstieg intrazellulärer Kalziumspiegel synthetisiert. Der rasche Abbau der Endo-Cannabinoide erfolgt anschließend durch die Enzyme FAAH (Fettsäure-amid-Hydrolase) und MAGL (Monoazlyglycerol-Lipase).
- die CB1 Rezeptoren im Zentralnervensystem sind präsynaptisch lokalisiert. Bei Aktivierung der postsynaptischen Seite kommt es zur Synthese und Freisetzung der Endo-Cannabinoide, welche dann die CB1 Rezeptoren auf der präsynaptischen Seite aktivieren. Dies bewirkt eine Hemmung der Freisetzung der jeweiligen Botenstoffe der Synapse (zB GABA, Glutamat, Serotonin, Acetylcholin, Dopamin, endogene Opioide) und demnach eine Modulation der chemischen Kommunikation zwischen Nervenzellen.
Die funktionelle Bedeutung des ECS ist noch nicht vollständig verstanden und daher Gegenstand vielfältiger und intensiver wissenschaftlicher, (prä)klinischer Studien.
Die Verteilung der CB1 und
CB2-Rezeptoren deutet aber eine Reihe möglicher Funktionen an:
- Da die Hirnregionen, in denen der CB1-Rezeptor vorwiegend gefunden wird, eine wichtige Rolle bei Gedächtnis (Hippocampus und Kleinhirn) sowie Bewegungsregulation (Basalganglien und Kleinhirn) spielen, liegt die Vermutung nahe, dass Endo-Cannabinoide Lern- und Bewegungsprozesse beeinflussen.
- Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass der CB1-Rezeptor notwendig für das Löschen negativer Erinnerungen sein könnte. Endo-Cannabinoide könnten demnach eine wichtige Rolle bei Angststörungen spielen.
- Für den CB2-Rezeptor wird eine wichtige Rolle in der Regulation bzw. Modulation des Immunsystems vermutet.
Weitere physiologische Prozesse mit Beteiligung des Endo-Cannabinoid-Systems sind u. a. Schmerzzustände, Schlafinduktion, Appetit- und Motilitätssteuertung, Temperaturregulation und Neuroprotektion.
Im nächsten Blog geht‘s um folgende Fragen:
- Ist der Hype um Cannabidiol (CBD) berechtigt? Wie gut ist seine Wirkung wissenschaftlich belegt?
- Welche Erkrankungen kann man mit THC therapieren?
- Welches weiteres therapeutisches Potential bietet die gezielte Beeinflussung des Endo-Cannabinoid-Systems (ECS) für die Behandlung komplexer Erkrankungen?
- welche „ECS-Medikamente“ wurden/werden klinisch getestet oder haben bereits eine Marktzulassung erhalten?
- Was ist bei der von der Ampelkoalition geplanten Legalisierung von Cannabis zu beachten?
Literatur
- K. Grotsch, V. Fokin; ACS Cent. Sci. 2022, XXX; Between Science and Big Business: Tapping Mary Jane's Uncharted Potential.
- E, Hoch, C. Friemel, M. Schneider; Springer Verlag, 1. Auflage 2019; Cannabis - Potenzial und Risiko. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme.
- Koalitionsvertrag 2021-2025; Mehr Fortschritt Wagen; S. 87 "...Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus..."
Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönliche Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.