Eine neue Klasse von Schlafmitteln - Orexin-Rezeptor-Antagonisten! Blog#39


Vor kurzem erteilte die Europäische Zulassungsbehörde dem Schlafmittel Daridorexant die Zulassung. Daridorexant gehört zu einer neuen, innovativen Klasse von Schlafmitteln, den sogenannten Orexin-Rezeptor-Antagonisten, und ist das erste in der EU zugelassene derartige Medikament.

Wie wurde das Orexin-Rezeptorsystem entdeckt und warum eignen sich Orexin-Rezeptor-Antagonisten zur Therapie von Schlafstörungen? Wie unterscheidet sich Daridorexant von den bisher verfügbaren „traditionellen“ Schlafmitteln?


Wie wurde das Orexin-Rezeptorsystem entdeckt und warum eignen sich Orexin-Rezeptor-Antagonisten zur Therapie von Schlafstörungen?

Vor etwa 25 Jahren wurden zwei neuartige Neuropeptide nahezu zeitgleich von zwei amerikanischen Forschungsgruppen beschrieben. Da die Gabe dieser neuartigen Neuropeptide in das Gehirn von Ratten zu einer erhöhten Nahrungsaufnahme führte, nannten die Entdecker diese Peptide Orexin A und Orexin B. Orexin deswegen weil diese Verbindungen den Appetit anregen, also „orexigen“ wirken.

Neuropeptide wirken im Körper indem sie an die passenden, spezifischen Rezeptoren binden und diese aktivieren. Und tatsächlich konnten, kurz nach der Entdeckung von Orexin A und Orexin B, die „dazugehörigen“ membranständigen G-Protein-gekoppelten-Rezeptoren Orexin-1-Rezeptor (OX1R) und Orexin-2-Rezeptor (OX2R) gefunden werden.
  • Orexin-A besteht aus 33 Aminosäuren, enthält zwei intramolekulare Disulfidbrücken und bindet an OX1R und OX2R mit vergleichbarer Affinität,
  • Orexin-B ist ein lineares Peptid aus 28 Aminosäuren und bindet etwa fünfmal stärker an OX2R als an OX1R,
  • beide Neuropeptide werden ausschließlich von einer kleinen Zahl spezialisierter Nervenzellen im Hypothalamus gebildet.
Die Neuropeptide Orexin A und Orexin B (Orexine) spielen eine wichtige Rolle, sowohl beim Essverhalten, wie auch beim Schlafrhythmus: bezogen auf das Essverhalten wirken die Orexine appetitsteigernd, beim Schlaf-Wach-Rhythmus fördern Orexine Aufmerksamkeit und Wachheit.

Die Effekte des Orexin-Rezeptor-Systems auf das Schlaf-Wach-Verhalten zeigen sich ganz besonders eindrucksvoll beim Krankheitsbild der Narkolepsie. Narkolepsie ist eine neurologische Erkrankung, bei der Menschen am helllichten Tag von Schlafattacken „überfallen“ werden - sie nicken zB beim Reden, Essen oder am Schreibtisch, oft völlig unvermittelt ein und sacken plötzlich zusammen. Allein in Deutschland leiden etwa 40.000 Menschen an dieser Erkrankung. Untersuchungen an narkoleptischen Hunden und Menschen zeigten, dass Narkolepsie mit einer deutlich reduzierten Aktivität des Orexin-Systems einhergeht. Diese reduzierte Aktivität kann durch einen Verlust von Orexin-Neuronen oder aber durch Mutationen am Orexin-2-Rezeptor verursacht werden.

Wenn das Gehirn durch die Wirkung der Orexine wacher ist, könnte es für den Schlaf zuträglich sein, wenn man diese Wirkung unterdrückt!

Um diese Arbeitshypothese zu überprüfen benötigt man eine organische Verbindung, das nach oraler Gabe effizient in das Gehirn gelangt und dort die vorhandenen OX1- und OX2-Rezeptoren blockiert - einen sogenannten Orexin-Rezeptor-Antagonisten. Und genau so ein Molekül entwickelte eine Forschergruppe der amerikanischen Pharmafirma Merck&Co. - nicht zu verwechseln mit dem deutschen Pharmaunternehmen Merck - in 10-jähriger intensiver Arbeit. Suvorexant ist ein hochwirksamer und gut verträglicher Orexin-Rezeptor-Antagonist, der auf Basis seiner klinischen Wirksamkeit und guten Verträglichkeit, bereits im Jahr 2014 in den USA als neuartiges Schlafmittel zugelassen wurde.

Wer genauer wissen möchte, welche großen Herausforderungen bei der Erforschung und Entwicklung von im Gehirn wirkenden Medikamenten, wie Suvorexant überwunden werden müssen, findet hier eine Zusammenfassung!


Abb. 1: Chemische Strukturen der zugelassenen Orexin-Rezeptor-Antagonisten. Alle drei Verbindungen sind niedermolekulare organische Verbindungen mit einem Molekulargewicht < 500 g/mol, die sowohl den OX1- als auch den OX2-Rezeptor effizient blockieren („duale Orexin-Rezeptorantagonisten“). Interessantes Detail: Suvorexant und Daridorexant besitzen die gleiche Summenformel (C23H23ClN6O) und sind daher Isomere!

In 2019 wurde ein weiterer potenter Orexin-Rezeptor-Antagonist - Lemborexant von der japanischen Pharmafirma Eisai - in den USA zugelassen.

Allerdings waren weder Suvorexant noch Lemborexant in der EU zugelassen. Das änderte sich erst im April diesen Jahres als Daridorexant, von der Schweizer Phamafirma Idorsia entwickelt, eine EU-Zulassung erhielt. Nach Angaben des Herstellers, wird dieses neue Medikament bis spätestens Dezember 2022 in Apotheken verfügbar sein. In den USA wurde Daridorexant bereits im Januar 2022 von der FDA zugelassen.

Wie unterscheidet sich Daridorexant von den bisher verfügbaren „traditionellen“ Schlafmitteln?

Daridorexant ist, wie auch seine zwei Vorgänger, ein dualer Orexin-Rezeptorantagonist, dh diese Verbindungen blockieren gleichzeitig und mit vergleichbarer Affinität den OX1- als auch den OX2-Rezeptor. Die potentiellen Vorteile von Daridorexant, und aller anderer Orexin-Rezeptor-Antagonisten, ggü den traditionellen Schlafmitteln sind:
  • anstatt den Schlaf durch eine breite Hemmung der Gehirnaktivität herbeizuführen, blockiert Daridorexant nur die Aktivierung von Orexin-Rezeptoren. So soll es beim Ein- und Durchschlafen helfen,
  • Hang-over-Effekte wie bei Benzodiazepinen und Z-Substanzen soll es keine geben,
  • in klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Behandlung mit Daridorexant die Leistungsfähigkeit am Tag bei chronischen Insomnie-Patienten verbesserte,
  • die Einnahme von Daridorexant soll im Gegensatz zu Benzodiazepinen und Z-Substanzen nicht zu einer Abhängigkeit oder Missbrauch führen. Die Studienteilnehmer nahmen es zum Teil bis zu zwölf Monate lang ein. Ein Rebound-Effekt nach Absetzen wurde nicht beobachtet.

Fazit

  • Die neuartigen Orexin-Rezeptor-Antagonisten greifen an einem völlig anderen System an, als es bereits etablierte und als Schlafmittel zugelassene Wirkstoffe – Benzodiazepine (zB Oxazepam), Z-Substanzen (zB Zopiclon) oder Antihistaminika (zB Doxylamin) – tun.
  • Die potentiellen Vorteile der Orexin-Rezeptor Antagonisten sind: keine Hang-over Effekte und kein Abhängigkeits-/Missbrauchspotential.
  • Daridorexant ist der erste in der EU zugelassene Orexin-Rezeptor-Antagonist. Das Medikament wird in den ersten EU-Ländern noch vor Jahresende 2022 erhältlich sein.
  • Da die Aktivierung des Orexin-Rezeptor-Systems im Tierversuch appetitsteigernd wirkt, könnte die Blockade durch Orexin-Rezeptor-Antagonisten zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme führen. Ob tatsächlich eine geringere Nahrungsaufnahme und ein Gewichtsverlust in behandelten Patienten beobachtet wurde, konnte ich durch meine Literaturrecherche aber leider nicht herausfinden.
  • Narkolepsie wird durch eine zu geringe Aktivierung des Orexin-2-Rezeptors (mit)verursacht. Die Firma Takeda hat daher einen Orexin-2-Rezeptor Agonisten (TAK-861) entwickelt - Agonisten aktivieren den Rezeptor, während die oben beschriebenen Antagonisten die Rezeptoren deaktivieren. TAK-861 wird derzeit klinisch für die Behandlung der Narkolepsie getestet. Spannend zu sehen ob diese Substanz wirkt!

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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com 
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.

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