Nasenspray-Impfstoff gegen Corona - Game Changer? Blog#46

Corona-Viren verbreiten sich vor allem durch die Luft und gelangen in der Regel zunächst in Nase, Rachen und Lunge. Daher ist es eigentlich nur logisch direkt dort, in den Schleimhäuten, auch mit der Bekämpfung der Erreger zu beginnen und eine Infektion so bestenfalls ganz zu vermeiden. Nasal zu applizierende Impfstoffe bauen direkt am Eintrittsort der SARS-CoV-2-Viren einen Immunschutz auf und könnten so zu einer sterilen Immunisierung führen: das bedeutet, dass eine Übertragung bzw. Ansteckung von Mensch zu Mensch verhindert wird.

Was sind die potentiellen Vorteile von nasalen Impfstoffen gegen Covid-19? Was sind die besonderen Herausforderungen für die Entwicklung nasaler Impfstoffe? Welche nasale Impfstoffe sind verfügbar?



Was sind die potentiellen Vorteile von nasalen Covid-19 Impfstoffen?

Die „konventionelle“ intramuskuläre Injektion löst eine Immunreaktion aus, an der T-Zellen beteiligt sind, die infizierte Zellen zerstören, und B-Zellen, die Antikörper produzieren, die Krankheitserreger "neutralisieren". Diese Zellen und Antikörper zirkulieren in der Blutbahn. In Nase und Lunge sind sie jedoch nicht in ausreichender Menge vorhanden, um einen schnellen Schutz zu bieten. In der Zeit, die sie brauchen um vom Blutkreislauf dorthin zu gelangen, breitet sich das Virus aus und die infizierte Person erkrankt.

Nasenspray-Impfstoffe können eine Immunreaktion im ganzen Körper auslösen, aber sie können auch Immunzellen in den Schleimhäuten der Nase und der Atemwege aktivieren. Diese lokalisierten Zellen fungieren als Wächter am Ort der Infektion und können daher viel schneller handeln.

Die lokalisierten Schleimhaut-Immunzellen, die so genannten gewebeansässigen T- und B-Gedächtniszellen, haben etwas andere Funktionen als die zirkulierenden T- und B-Zellen. So produzieren gewebsresidente B-Gedächtniszellen Antikörper, die als sekretorisches Immunglobulin A (IgA) bezeichnet werden und mit den Schichten der Atemwege verwoben sind, wo sie Krankheitserreger schnell stoppen können.

Tierversuche unterstützen die Hypothese, dass eine sterilisierende Immunität gegen COVID-19 durch Nasenspray-Impfstoffe induziert werden kann.
  • Eine Studie an Mäusen ergab beispielsweise, dass eine intranasale Auffrischungsimpfung, die nach einer Dosis des herkömmlichen Impfstoffs verabreicht wurde, eine Schleimhautimmunität induzierte und die Tiere vollständig vor einer tödlichen Exposition gegenüber dem Coronavirus schützte, während eine intramuskuläre Auffrischung dies nicht tat.
  • Bei Rhesusaffen schützte ein anderer intranasaler Impfstoff die Tiere vollständig vor einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Virusreplikation war in den Atemwegen und im Lungengewebe der Affen nicht nachweisbar, was einer sterilisierenden Immunität sehr nahekommt!
Inwiefern sich diese vielversprechenden präklinischen Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, muss sich in sorgfältig geplanten klinischen Studien zeigen.

Was sind die besonderen Herausforderungen für die Entwicklung nasaler Impfstoffe? Welche nasale Impfstoffe sind zugelassen?

Derzeit befinden sich weltweit etwa 100 COVID-19-Nasal-Impfstoffe in der Entwicklung. Etwa 20 davon haben klinische Studien am Menschen erreicht, von denen mindestens vier - im Iran, in Russland, Indien und in China entwickelt - eine Notfall-Zulassung erhalten haben.

Die Entwicklung gut wirksamer und verträglicher nasaler Impfstoffe ist aus vielerlei Gründen herausfordernd. Vier ausgewählte Beispiele hierfür;
  • Es gibt bislang kein eindeutiges Korrelat für ausreichende sterilisierende Immunität. Viele Entwickler messen Immunreaktionen in den Atemwegen, darunter sekretorisches IgA, andere Antikörper und gewebeeigene T-Gedächtniszellen. Diese tragen wahrscheinlich zum Schutz bei, aber es ist unklar, welche Mengen erforderlich sind, um eine Infektion und Übertragung zu verhindern. Untersuchungen der Immunreaktionen in Nase und Lunge von Menschen, die eine natürliche Infektion durchgemacht haben, könnten aufschlussreich sein.
  • Bis diese Grundlagenforschung abgeschlossen ist, müssen die Entwickler von Schleimhautimpfstoffen die Wirksamkeit auf andere Weise bestimmen. Naheliegend ist die Durchführung von Wirksamkeitsstudien, bei denen eine Nasenspray-Impfstoff-Gruppe mit einer Placebogruppe verglichen wird. Allerdings wird es zunehmend schwieriger, Placebogruppen zusammenzustellen, da die Zahl der Menschen, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert oder geimpft wurden, immer geringer wird. Solche Versuche sind auch ethisch schwer zu rechtfertigen, wenn wirksame Impfstoffe ohne weiteres verfügbar sind.
  • Herkömmliche intramuskuläre Injektionsstellen sind steril, was bedeutet, dass die dortigen Immunzellen robust auf fremde Antigene reagieren, während Schleimhautoberflächen ständig von externen Erregern bombardiert werden und zudem große Populationen von Mikroorganismen beherbergen. Folglich muss das Immunsystem der Schleimhaut lernen, nicht auf alles zu reagieren, was es erreicht. Es muss in der Lage sein, schlecht von nicht schlecht zu unterscheiden. Um einen erfolgreichen Schleimhautimpfstoff zu entwickeln muss man diese Toleranz überwinden. 
    Ein Beispiel hierfür: der bekannte und nach intramuskulärer Applikation gut wirksame Corona-Impfstoff ChAdOx1 von AstraZeneca/Universität Oxford führte nach nasaler Gabe in einer klinischen Phase I Studie zu deutlich geringeren Immunreaktionen als erwartet. Die Entwicklung wurde daher eingestellt. Eine naheliegende Erklärung hierfür ist, dass das als Vektor verwendete Adenovirus die menschlichen Atemwegszellen nicht ausreichend infizieren kann.
  • Andererseits dürfen solche Impfstoffe aber auch keine zu starke Reaktion hervorrufen. So führte beispielsweise ein intranasaler Grippeimpfstoff in den Jahren 2000 und 2001 dazu, dass eine beträchtliche Anzahl von Geimpften eine vorübergehende Gesichtslähmung entwickelte. Man geht heute davon aus, dass diese Nebenwirkung durch das Adjuvans verursacht wurde, das zur Verstärkung der Immunreaktion zugesetzt wurde.
Trotz dieser Hürden erhielten seit Ende 2021 bereits vier nasale Impfstoffe eine Notfallzulassung in ausgewählten Schwellen- / Entwicklunsländern: 
  • Der Iran erteilte im Oktober 2021 eine Notfallzulassung für den vom iranischen "Razzi Vaccine and Serum Research Institute" entwickelten Impfstoff, Razi Cov Pars. Es handelt sich hier um einen Proteinimpfstoff, der das Sars-CoV-2 spike protein nachahmt. Das Institut hat bislang leider keine Daten zur Wirksamkeit am Menschen veröffentlicht. 
  • Im April 2022 wurde in Russland eine intranasale Version des bekannten Sputnik-V Impfstoffes zugelassen. Leider liegen auch hier keine klinischen Daten vor. 
Anfang September 2022 wurden weitere Impfstoffe in China und Indien zugelassen: 
  • Convidecia Air, ein viraler Vektor-Impfstoff (Ad5-nCOV) des chinesischen Herstellers CanSino, der inhaliert wird, wurde als Booster in China zugelassen. Convidecia Air, als Auffrischungsimpfung verabreicht, erhöht die Serum-Antikörperspiegel deutlich stärker als eine Auffrischung mit dem intramuskulären Impfstoff von CanSino. Das Unternehmen untersuchte auch T-Zellen und Antikörper im Speichel. Ob damit eine sterilisierende Immunität erreicht werden konnte ist leider nicht berichtet/bekannt.
  • Der nasale Impfstoff des indischen Unternehmens Bharat Biotech, BBV154, ist ebenfalls ein Vektor-Impfstoff und basiert auf einem abgeschwächten Schimpansen Adenovirus (ChAd-SARS-CoV-2-S). iNCOVACC, so der kommerzielle Name, ist für die Grundimmunisierung und als Auffrischungsimpfung zugelassen und wird in die Nase getropft. In der Zulassungsstudie wurde die Bildung neutralisierender Antikörper im Blutserum gemessen, jedoch nicht die Fähigkeit des Impfstoffs, Infektionen oder Übertragungen zu verhindern.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Datenlage für die zugelassenen nasalen Impfstoffe extrem dünn ist. Bisher wurden weder die finalen Studienergebnisse der Hersteller, noch unabhängige Studien veröffentlicht. Zum jetzigen Zeitpunkt ist daher weiterhin ungeklärt, ob die nasalen Impfstoffe die hohen Erwartungen hinsichtlich steriler Immunisierung erfüllen. Auch ein Vergleich von Wirksamkeit und Sicherheit dieser nasalen Impfstoffe mit den in Europa zugelassenen hochwirksamen intramuskulären Impfstoffen, ist derzeit nicht möglich.  

Weitere wissenschaftliche und klinische Ergebnisse sind erforderlich um beurteilen zu können ob nasale Covid-19 Impfstoffe tatsächlich „game changing“ sind oder nicht. 

Bei der Erforschung und Entwicklung nasaler Impfstoffe in Europa und den USA rechnen Fachleute frühestens in ein bis zwei Jahren mit Ergebnissen klinischer Studien.

Fazit

  • Nasale Impfstoffe haben das Potential eine Infektion besser zu stoppen, die Weiterverbreitung zu  unterdrücken und eine länger anhaltende Immunität hervorzurufen. Vielversprechende Tierdaten wurden publiziert, inwiefern sich diese Ergebnisse auf die menschliche Situation übertragen lassen bleibt abzuwarten.
  • Ein weiterer Vorteil von Nasensprays, könnte deren Akzeptanz sein: man braucht keine Nadel und für die Verabreichung des Nasensprays ist wenig/kein ärztliches Personal nötig.
  • Es gibt bereits zugelassene nasale Impfstoffe im Iran, in Russland, China und Indien. Die Qualität dieser Impfstoffe lässt sich aufgrund fehlender wissenschaftlicher Informationen derzeit nicht bewerten.
  • Die laufenden klinischen Untersuchungen weiterer nasaler Impfstoffe werden zeigen, ob und inwiefern die hohen Erwartungen ("game changer") erfüllt werden. In Europa und den USA werden nasale Impfstoffe frühestens in 2024/2025 verfügbar sein.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com 
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.

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