Künstliche Intelligenz in der Pharmaforschung: Hype oder Hoffnung? Blog#52

Künstliche Intelligenz (KI) ist eine schnell wachsende Technologie, die bereits in vielen Bereichen eine wichtige Rolle spielt.

Was ist KI und in welchen Stadien der Arzneimittelentwicklung kann sie sinnvoll eingesetzt werden? Was sind die bisherigen praktischen Erfahrungen mit dem Einsatz von KI in der Arzneimittelentwicklung? In welcher Phase des Hype-Zyklus befindet sich die KI in der Pharmaforschung?


Was ist KI und in welchen Phasen der Arzneimittelentwicklung kann KI sinnvoll eingesetzt werden?

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen befasst. Der Begriff ist schwierig zu definieren und KI hat viele verschiedene Definitionen. Ich finde die Definition der Microsoft Corp. "KI ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren" sehr passend.

KI hat ein langfristiges Potenzial für den Einsatz in vielen Bereichen der Arzneimittelforschung und -entwicklung, einschließlich der Identifizierung neuer therapeutischer Targets, virtueller Screening- Kampagnen, Strukturoptimierung, Toxizitätsvorhersage und Überwachung klinischer Studien.

Meiner persönlichen Einschätzung nach kann KI derzeit besonders in der Forschungsphase sinnvoll eingesetzt werden, um Moleküle zu identifizieren, die wirksam und selektiv gegen vordefinierte Targets sind - Targets sind Biomoleküle, an das ein Wirkstoff bindet und dadurch seine Wirkung entfaltet. Dieser Forschungsprozess wurde über viele Jahrzehnte erfolgreich optimiert und es stehen große Mengen qualitativ hochwertiger Daten zur Verfügung. Dieser Datensatz, der als Trainingssatz für KI verwendet wird, ist dann auch für weitere, ähnliche neue Projekte wertvoll. Der Einsatz von KI macht diese frühe Phase (etwas) effizienter und schneller. Aber damit werden die eigentlichen Probleme der Arzneimittelentwicklung nicht adressiert!

Wichtig zu verstehen: ungefähr 90% der Entwicklungsverbindungen scheitern, weil das gewählte neue Target nicht ursächlich für die Erkrankung ist und daher unzureichende Wirksamkeit in klinischen Studien beobachtet werden und daran, dass unerwartete Toxizitäten & Nebenwirkungen in Tieren oder Menschen auftreten.

Warum neue und innovative Targets in der Klinik nicht die gewünschte Wirkung zeigen ist häufig unklar. Biologische Prozesse sind unglaublich komplex, und unser Verständnis darüber, wie diese biologischen Prozesse mit Krankheiten zusammenhängen, ist oft sehr lückenhaft. Ebenfalls werden häufig in-vivo Toxizitäten und Nebenwirkungen beobachtet, die unvorhersehbar und unverstanden sind.

KI funktioniert jedoch nur so gut wie der Datensatz, mit dem der Algorithmus trainiert wird. Eine unvollständige Datenlage zu klinischer Wirksamkeit und Nebenwirkungen und die unverstandene Komplexität in den Datensets führen zu schlechten Vorhersagen der KI. Um das volle Potenzial der KI auszuschöpfen, werden mehr qualitativ hochwertige Daten und ein besseres Verständnis komplexer biologischer Prozesse benötigt.

Bis dahin wird eine erfolgreiche Arzneimittelentwicklung weitgehend von der Verfügbarkeit relevanter, durchsatzstarker in-vitro und insbesondere in-vivo-Modellen abhängen, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit neuer Verbindungen rasch und zuverlässig zu testen. Die Qualität dieser experimentellen Daten ist für den Projekterfolg von ausschlaggebender Bedeutung!

Was sind die bisherigen praktischen Erfahrungen mit dem Einsatz von KI in der Arzneimittelentwicklung?

Es gibt bereits etwa 20 kleine Biotech-Unternehmen, die sich auf die KI-Anwendungen konzentrieren und ihre erste Erfolgsgeschichten veröffentlicht haben. Insbesondere das US-Unternehmen Exscientia berichtete über drei KI-generierte Verbindungen in klinischen Phase I Studien. Obgleich die exakten chemischen Strukturen noch nicht veröffentlicht wurden, ergab die Analyse der zugrunde liegenden Patentanmeldungen die folgenden Ergebnisse (siehe hier für Details): alle drei Verbindungen (DSP-1181 - ein 5-HT1a Agonist; EXS21546 - ein A2a Rezeptorantagonist und DSP-0038 - ein 5HT1a Agonist/5-HT2a Antagonist) besitzen chemische Strukturen und adressieren biologische Targets die ein medizinischer Chemiker mit traditionellen Ansätzen vermutlich ebenfalls recht rasch identifiziert hätte. Die chemischen Strukturklassen und Targets sind in der Literatur breit vorbeschrieben, sodass die KI gut auf diese Daten trainiert werden konnte. Daher sind diese drei Beispiele meiner Meinung nach nicht sehr überzeugend, da sich Exscientia auf sehr vertrautem Terrain bewegen konnte.

In welcher Phase des Hype-Zyklus befindet sich die KI in der Pharmaforschung?

Der Hype-Zyklus ist eine in der Technologiebranche häufig angewandte grafische Darstellung der Aufmerksamkeit spezifischer neuer Technologien. Auf der Y-Achse ist die Aufmerksamkeit (Erwartungen) für die neue Technologie aufgetragen, auf der X-Achse die Zeit. Die Kurve steigt anfangs explosionsartig an, um dann nach einem Maximum ebenso stark zu fallen. Nach einem Zwischenminimum steigt die Kurve erneut an bis zu einem höheren Niveau der Produktivität.

Bekannte Beispiele sind das Internet, die Gentherapie und die RNA-Technologie, die zunächst explosiv überbewertet ("gehyped") wurden und sich, nach Durchschreiten des „Tal der Enttäuschungen“, heute auf einem konstant ansteigenden Weg befinden. In allen drei genannten Fällen dauerte es mehr als 25 Jahre, bis die Technologie schließlich produktiv wurde.

Hype-Zyklus nach Gartner ("Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen").

Die Anwendung von KI in der Arzneimittelentwicklung steht noch am Anfang dieses Hype-Zyklus und wird die produktive Phase erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten erreichen. 

Fazit

  • Die Arzneimittelentwicklung ist eine multidimensionale Wissenschaft, die durch Nichtlinearität mit vielen "known unknowns" und "unknown unknowns" gekennzeichnet ist. Daher auch viel komplexer und nicht mit KI-Anwendungen zu vergleichen in denen es eine limitierte Anzahl von bekannten Regeln gibt (zB sprachbasierte Anwendungen, Go- oder Schach-Spiele).
  • Die eigentliche Herausforderung bei der Entwicklung neuer Arzneimittel liegt in der richtigen Auswahl von Targets, die ursächlich für die Erkrankung sind und in der Vermeidung von Nebenwirkungen. Diese letzten beiden Punkte sind dafür verantwortlich, dass 90% der klinischen Projekte scheitern!
  • KI ist kein Allheilmittel, aber im richtigen Kontext und mit den richtigen Trainings-Daten ein wertvolles Hilfsmittel. KI wird leistungsfähiger, sobald komplexe biologische Prozesse besser verstanden und mehr qualitativ hochwertige Daten generiert werden.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.
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