Kleine Veränderung im Molekül, große Wirkung: N1-Methylpseudouridin und der Erfolg von mRNA-Impfstoffen! Blog#70

Am 11. Dezember 2020 gab die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) grünes Licht für die Notfall-Zulassung (EUA) des von BioNTech/Pfizer entwickelten Impfstoffs gegen COVID-19. Eine Woche später folgte die Zulassung eines weiteren COVID-19-Impfstoffs, entwickelt von Moderna. Diese Zulassungen waren ein bedeutender Durchbruch im Gesundheitswesen. Die Impfstoffe erwiesen sich als wirksam gegen die schlimmste globale Pandemie seit über 100 Jahren und gleichzeitig waren sie das Ergebnis eines Impfstoffentwicklungsprozesses, der in Umfang und Dringlichkeit dem berühmten Manhattan-Projekt ähnelt.

Diese beiden Impfstoffe sind besonders bemerkenswert, weil sie die ersten von der FDA zugelassenen Therapeutika sind, die eine neuartige therapeutische Plattform verwenden: synthetische mRNA.



Synthetische mRNA ist eine einzelsträngige Boten-Ribonukleinsäure bei der einzelne natürliche Nukleoside durch künstlich hergestellte, synthetische Nukleosid-Analoga ersetzt werden. 

Für die erfolgreichen COVID-19-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna lag der Schlüssel zum Erfolg in der Verwendung des modifizierten synthetischen Nukleosids N1-Methylpseudouridin anstelle des natürlich vorkommenden Nukleosids Uridin!


Abb. 1: Chemische Strukturen der Nukleoside Uridin und N1-Methylpseudouridin. In Uridin ist der Zucker ß-D-Ribose mit dem N-Atom des Uracils (Nukleinbase) verknüpft, während das Nukleosid N1-Methylpseudouridin ein C-Glykosid ist, bei dem der Zuckerrest an das C5-Atom der Nukleinbase gebunden ist.

Woraus bestehen die zugelassenen mRNA-Impfstoffe und was macht das synthetische Nukleosid N1-Methylpseudouridin so besonders?

Die chemischen Bestandteile der mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna sind ziemlich einfach. Sie bestehen hauptsächlich aus RNA, die normalerweise aus einer längeren Abfolge der vier Nukleoside Adenosin (A), Guanosin (G), Cytidin (C) und Uridin (U) besteht. Beim BioNTech/Pfizer-Impfstoff besteht diese lineare RNA-Sequenz aus insgesamt 4.284 Nukleosiden, die eine stabilisierte Prä-Fusion-Konformationsvariante des Spike-Glykoproteins auf der Oberfläche des Coronavirus SARS-CoV-2 kodieren (Details siehe hier). Zusätzlich sind Wasser, Salz, Zucker und Fett enthalten - das klingt doch ziemlich ähnlich wie beim Bier-Reinheitsgebot.

Allerdings gibt es zwei interessante Besonderheiten. Erstens sind da die Lipid-Nanopartikel, die die mRNA einkapseln und ihre Verabreichung erleichtern. Zweitens haben wir das nicht-natürliche RNA-Nukleosid N1-Methylpseudouridin.

Wichtig zu verstehen: in den mRNA-Impfstoffen von BioNTech/Pfizer und Moderna wurde das natürliche Nukleosid Uridin durchgängig durch N1-Methyl-Pseudouridin ersetzt, einer speziellen synthetischen Variante von Uridin. Die große Bedeutung dieser chemischen Modifikation wird besonders deutlich, da beide erfolgreiche mRNA-Impfstoffe dieses modifizierte Nukleosid enthalten. Im Gegensatz dazu nutzten letztendlich nicht zugelassene experimentelle mRNA-Impfstoffe (zB von CureVac) das unveränderte Uridin.

Was macht N1-Methylpseudouridin so besonders?

N1-Methylpseudouridin verringert die Immunogenität der mRNA.

Frühe Studien haben gezeigt, dass synthetische mRNAs, wenn sie in die Muskeln von Mäusen injiziert werden, wochenlang nachweisbare Proteine produzieren können. Eine Herausforderung bei der Verwendung dieser Mittel als Impfstoffe und für Proteinersatztherapien war jedoch ihre Immunogenität. Zellen enthalten zahlreiche Mustererkennungsrezeptoren, die von Natur aus darauf spezialisiert sind, virale RNAs zu erkennen und darauf zu reagieren, indem sie nachfolgende Signalwege aktivieren. Diese Rezeptoren umfassen endosomale Rezeptoren (TLR3, TLR7 und TLR8) sowie zytosolische Rezeptoren (RIG-I und MDA-5). 

Während die Induktion einer Immunantwort theoretisch ein positives Attribut für einen Impfstoff ist, kann eine unkontrollierte Immunaktivierung zu allergischen Reaktionen und anaphylaktischem Schock führen. Darüber hinaus ist bekannt, dass eine Überstimulation der Immunsignale auf molekularer Ebene die Proteinproduktion zum Erliegen bringen kann, was die Menge an produzierten Antigenen begrenzt und somit die Effektivität des Impfstoffs beeinträchtigen kann.

Ein Durchbruch wurde durch grundlegende Studien der ungarischen Biochemikerin Katalin Kariko und ihrem Team erzielt. Diese Studien haben gezeigt, dass viele Modifikationen, die natürlicherweise in menschlicher RNA vorhanden sind, wie Pseudouridin, Thiouridin und 5-Methylcytidin, das immunstimulierende Potenzial verringern. Diese Erkenntnisse führten zu weiteren Untersuchungen, die zeigten, dass dieselben Modifikationen der Nukleoside die Produktion von Proteinen aus synthetischer mRNA erhöhen können.

Die Weiterentwicklung dieses Konzepts führte zur Entdeckung von N1-Methylpseudouridin, das in die mRNA eingebaut die Immunreaktion auf synthetische mRNA verringerte. Es gibt mindestens drei Mechanismen, die für diesen Effekt verantwortlich gemacht werden, die jedoch hier nicht weiter diskutiert werden.

N1-Methylpseudouridin verbessert die mRNA-Translation.

Der Hauptzweck eines mRNA-Medikaments besteht darin, die Expression eines therapeutischen Proteins zu ermöglichen. Daher wurde N1-Methylpseudouridin und andere modifizierte Nukleoside auf ihre Fähigkeit hin untersucht, die Übersetzung von mRNA in Protein über das Ribosom zu erleichtern. Diese Studien sind natürlich eng mit den oben genannten Studien verknüpft, da eine Immunaktivierung die Translation einschränken kann, indem sie das Ribosom ausschaltet und Ribonukleasen aktiviert, die die mRNA abbauen.

In Übereinstimmung damit wurde festgestellt, dass mRNA mit N1-Methylpseudouridin die Proteinproduktion deutlich steigert. Dies ist teilweise auf die Fähigkeit zurückzuführen, die Aktivierung von TLR3 abzuschwächen.

Kurz gesagt: N1-Methylpseudouridin wird erfolgreich zur Herstellung von RNA-Impfstoffen eingesetzt. Im Vergleich zu Uridin löst es bei einer Anwendung eine geringere Aktivierung der angeborenen Immunantwort aus, während gleichzeitig die Translation (Protein-Expression) verstärkt wird.

Fazit

  • Die Entwicklung und Anwendung von N1-Methylpseudouridin spielte eine entscheidende Rolle für den Erfolg der mRNA-Impfstoffe. Der Einbau von N1-Methylpseudouridin verringert die Immunreaktion und verbessert die Protein-Expression
  • Die erfolgreichen COVID-19-Impfstoffe von BioNTech und Moderna enthalten N1-Methylpseudouridin. Experimentelle Impfstoffe, die das natürliche Nukleosid Uridin verwenden (zB von CureVac), erwiesen sich als weniger wirksam und wurden daher nicht zugelassen.
  • Die Erkenntnisse aus der erfolgreichen Entwicklung dieser mRNA-Impfstoffe werden derzeit auf die personalisierte Krebsimmuntherapie angewendet. Drücken wir die Daumen, dass diese Entwicklungen vergleichbar erfolgreich sein werden!
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.

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