Chemische Innovation: Die Gerüst-Editierung und ihre vielfältigen Anwendungen! Blog#82
Die Erforschung und Entwicklung von neuartigen Arzneimitteln beginnt mit der Entdeckung vielversprechender organischer Moleküle, sogenannter Leitstrukturen. Danach werden Hunderte von leicht unterschiedlichen Versionen hergestellt, um ihre Wirksamkeit und andere essenzielle Eigenschaften wie Toxizität und Pharmakokinetik zu optimieren. Die Modifikation von Atomgruppen an der Peripherie eines Moleküls ist vergleichsweise einfach. Um jedoch das Grundgerüst zu verändern, müssen die Forscher normalerweise das Grundgerüst von Grund auf neu herstellen. Dies ist teuer, zeitaufwändig und schränkt die Vielfalt möglicher struktureller Designs erheblich ein.
Neuartige Methoden, die es ermöglichen würden, das Grundgerüst von organischen Molekülen zuverlässig und effizient zu verändern, könnte den Arzneimittelentwicklungsprozess erheblich beschleunigen und verbessern. Für jeden organischen Chemiker ist die Vorstellung, ein Atom im Gerüst eines Moleküls gezielt austauschen zu können, faszinierend und geradezu magisch!
In den letzten Jahren hat der Chemiker Mark Levin von der University of Chicago neue innovative Synthesemethoden namens „Skeletal-Editing“, übersetzt ins Deutsche bedeutet das „Grundgerüst-Editierung“, entwickelt. Diese Methoden ermöglichen es tatsächlich, einzelne Atome in einem Molekülskelett auszutauschen oder zu entfernen, ohne das gesamte Moleküle zerlegen zu müssen.
Diese neuentwickelten Methoden könnten sich als wegweisende Verbesserung erweisen, da sie eine wesentlich schnellere Entwicklung von Medikamenten und anderen chemischen Innovationen versprechen.
Ein faszinierendes Beispiel ist die Umwandlung des natürlichen Estrogens, Estron, in ein Azasteroid-Derivat, wie es die Levin-Gruppe kürzlich in der Zeitschrift "Science" beschrieben hat. In diesem Experiment wurde ein Kohlenstoffatom in einem aromatischen Ring gezielt durch ein Stickstoffatom ersetzt. Obwohl dies auf dem Papier, mit Bleistift und Radiergummi einfach erscheint, war es bisher in einem Reaktionskolben äußerst schwierig und aufwändig!
Levin und sein Team meisterten dieses Problem elegant und effizient. Sie begannen mit der Herstellung eines Arylazids und führten dann eine photochemische Reaktion mit blauem Licht und dem Reagenz N-Ethyl-N-hydroxyethylamin durch. Das Ergebnis war ein intermediäres Azepin-Zwischenprodukt (siebengliedrige Spezies durch Ringerweiterung) mit dem zugesetzten Amin. Die weitere Behandlung dieses Zwischenprodukts im selben Kolben mit einem Bromierungsmittel führte zu einem ungewöhnlichen Spiro-System, das sich schließlich in einen sechsgliedrigen aromatischen Ring zersetzt, der nun anstelle des Kohlenstoffs einen Stickstoff enthält (Details siehe hier!).
Diese Methode verspricht, viele neue Ringsysteme zu erschließen, die sonst nur mit erheblichem Aufwand zugänglich wären. Es wird spannend sein zu beobachten, wie diese Methode genutzt wird, um aus natürlichen Produkten innovative „unnatürliche Produkte" herzustellen, die ohne diese Methode nicht realisierbar wären.
Die größte Herausforderung besteht nun darin, die Methoden weiter zu verallgemeinern, sodass sie zuverlässig bei einer breiten Palette von Grundgerüsten funktionieren.
Diese Techniken und Erkenntnisse breiten sich nun auch auf weitere Bereiche aus, die über die Arzneimittelforschung hinausgehen.
- Zum Beispiel haben Polymerchemiker gezeigt, dass mit Hilfe dieser neu entwickelten Reaktionen das kohlenstoffbasierte Rückgrat von Polymeren verändert werden kann. Dies könnte letztlich dazu beitragen, Kunststoffe effektiver zu recyceln oder die Verwendung nachhaltiger biologischer Moleküle zur Herstellung alltäglicher Polymere zu erleichtern, die derzeit aus fossilen Rohstoffen gewonnen werden.
- Ebenso werden lichtgesteuerte Stickstoffdeletionen genutzt, um die Strukturen von Peptiden zu verändern. Dies könnte beispielsweise zur Entwicklung vielversprechender nicht natürlicher Aminosäurestrukturen führen, die Verdauungsenzymen besser widerstehen, ohne an Wirksamkeit zu verlieren.
- Zusätzlich werden ungewöhnliche Isotope wie Stickstoff-15 oder Kohlenstoff-13 in Arzneimittelmoleküle eingebaut, um beispielsweise den Stoffwechsel eines Medikaments zu verfolgen oder seine Interaktion mit dem Zielprotein zu verstehen.
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.
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