Genetische Ursachen des Raynaud-Phänomens: Schlüssel zu einer gezielten Therapie? Blog#81

Das Raynaud-Phänomen (RP) betrifft etwa 5% bis 10% der deutschen Bevölkerung und äußert sich durch den vorübergehenden Verschluss von Blutgefäßen in Fingern und Zehen bei Kälte oder Stress. Bei den meisten ist die dadurch entstehende leichenähnliche Blässe nach kurzer Zeit ohne bleibenden Schaden vorüber. Dennoch ist dieses wiederkehrende Phänomen für die Betroffenen unangenehm und mitunter auch sehr schmerzhaft.


Die genaue Ursache des Raynaud-Phänomens ist komplex und noch nicht vollständig verstanden. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle handelt es sich um das primäre Raynaud-Phänomen, was bedeutet, dass keine zugrunde liegende Grunderkrankung vorliegt. Bei diesen Patienten führt eine übermäßige Reaktion der Blutgefäße auf Kälte oder Stress zu den charakteristischen Symptomen. Obwohl das Raynaud-Phänomen vergleichsweise häufig ist, sind seine genetischen Ursachen bisher kaum erforscht.

Um dieses Wissensdefizit zu beheben, führten deutsche und britische Wissenschaftler kürzlich eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) durch und veröffentlichten ihre Ergebnisse vor wenigen Tagen (hier!). In dieser Studie wurden Daten von 5147 Raynaud-Patienten und 439.294 gesunden Kontrollpersonen aus der „UK-Biobank“ analysiert.

Die „UK-Biobank“ enthält nicht nur genetische Informationen von 500.000 Patienten, sondern auch ihre Krankheitsgeschichten in Form von elektronischen Gesundheitsakten. Die Forscher untersuchten die Daten auf zahlreiche Genvarianten, die als Single Nukleotide Polymorphismen (SNPs) bekannt sind.
  • Die DNA ist eine Sequenz von Nukleotiden, und ein SNP (Single Nucleotide Polymorphism), auf Deutsch Einzelnukleotid-Polymorphismus, tritt auf, wenn an einer spezifischen Position ein einzelnes Nukleotid durch ein anderes ersetzt wird. Zum Beispiel kann anstelle von A (Adenin) ein G (Guanin) stehen.
  • In genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) suchen Forscher nach Zusammenhängen zwischen diesen SNPs und bestimmten Merkmalen oder Krankheiten. In der vorliegenden Studie wurde die Häufigkeit bestimmter SNPs bei Patienten mit dem Raynaud-Syndrom (RP) und jenen ohne dieses Merkmal verglichen. Diejenigen SNPs die in der RP-Gruppe häufiger auftraten, liefern einen Hinweis auf einen genetischen Zusammenhang.
In dieser GWAS-Studie konnten zwei Gene identifiziert werden, die das Risiko für das Raynaud-Phänomen (RP) signifikant erhöhen:
  1. ADRA2A - Dieses Gen kodiert für den alpha-2A-adrenergen Rezeptor, der sich unter anderem in den Wänden der kleinen Blutgefäße befindet. Diese Blutgefäße ziehen sich bei der Ausschüttung des akuten Stresshormons Adrenalin zusammen. Dies ist prinzipiell angemessen, wenn es kalt oder gefährlich ist, da der Körper das Innere mit Blut versorgen muss. Bei Raynaud-Patienten scheint dieser Rezeptor jedoch besonders aktiv zu sein, was die Gefäßspasmen erklären könnte, insbesondere in Verbindung mit dem zweiten Gen, das in dieser Studie gefunden wurde:
  2. IRX1 - Ein Transkriptionsfaktor, der nach Ansicht der Forscher an der Regulierung der Gefäßerweiterung beteiligt sein könnte. Eine erhöhte Produktion von IRX1 könnte dazu führen, dass sich die verengten Gefäße nicht schnell genug entspannen. Dies könnte zusammen mit dem überaktiven Adrenalinrezeptor dazu führen, dass die Blutgefäße über längere Zeit nicht durchblutet sind, was wiederum zum beobachteten Erblassen der Finger und Zehen führt.
Diese Ergebnisse erklären, warum die Blutgefäße bei Raynaud-Betroffenen schnell verengen und nur langsam erweitern, und warum viele bisher eingesetzte Medikamente nicht wirksam sind. Diese Medikamente zielen oft auf Mechanismen ab, die in der Regel die großen Blutgefäße erweitern, jedoch nicht die sehr kleinen Gefäße in den Händen und Füßen, die bei Patienten mit Raynaud betroffen sind.

In einer weiteren Analyse suchten die Autoren nach möglichen neuen therapeutischen Ansätzen für das Raynaud-Phänomen. Bisher werden milde Fälle mit Verhaltensänderungen behandelt, wie dem Tragen warmer Kleidung und dem Vermeiden von Kälteexposition. Bei schwerwiegenderen Fällen werden Kalziumkanalblocker vom Dihydropyridin-Typ verabreicht. Jedoch hat sich die Wirksamkeit dieser Medikamente als unbefriedigend erwiesen.

Die Autoren identifizierten in der „Open-Target-Database“ insgesamt 50 Wirkstoffe, die zumindest eine gewisse Affinität zu ADRA2A aufweisen. Demnach gibt es bereits zugelassene Wirkstoffe, die antagonistisch auf den α2-Adrenorezeptor wirken, darunter das Antidepressivum Mirtazapin. Ob, wie von den Autoren vorgeschlagen, eine systemische oder auch topische Behandlung mit Mirtazapin vasospastische Anfälle bei Raynaud-Patienten mildern kann, muss in klinischen Studien untersucht werden. Aufgrund der vielfältigen pharmakologischen Wirkungen von Mirtazapin (siehe hier!) bin ich zumindest in Bezug auf eine systemische Gabe (zB als Tablette) skeptisch.

Fazit

  • Die neuen Erkenntnisse über die genetischen Ursachen des Raynaud-Phänomens ermöglichen die Erforschung von therapeutischen Ansätze, die spezifisch auf den alpha-2a-Adrenorezeptor und/oder den Transkriptionsfaktor IRX1 abzielen. Das ist ein wichtiger erster Schritt hin zu einer wirksamen Therapie des Raynaud-Phänomens.
  • Diese Studie verdeutlicht, wie wertvoll Informationen aus elektronischen Gesundheitsakten für die Patienten-nahe Forschung sind. Die in dieser Studie verwendeten Daten stammen ausschließlich aus Großbritannien. Es wäre daher sehr wünschenswert, dass auch in Deutschland die digitale Erfassung von Gesundheitsdate intensiviert wird.
Für weitere detaillierte Informationen siehe hier und hier.

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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Disclaimer: Auf Klaus Rudolfs Blog gebe ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen weiter. Ich bin weder Arzt noch Finanzberater. Bitte informiere Dich breit und konsultiere bei Bedarf einen professionellen Experten in Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen.

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