Die Bredt'sche-Regel: Ein seit einem Jahrhundert anerkanntes Prinzip der Chemie wird infrage gestellt! Blog#134

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Seit der Formulierung durch den deutschen Chemiker Julius Bredt im Jahr 1924 gilt die Bredt’sche Regel als fundamentales Prinzip der organischen Chemie und wird bereits im Grundstudium gelehrt. Doch was besagt diese Regel genau?

Die Bredt’sche Regel besagt, dass in kleinen bicyclischen Kohlenwasserstoffen aufgrund der Ringspannung keine Doppelbindung an einem Brückenkopfatom vorkommen kann. 


Im Laufe der Zeit wurde diese Regel präzisiert und gilt speziell für Bicyclo[x.y.z]alk-1-ene. Dabei stehen die Variablen x, y und z für die Anzahl der Kohlenstoffatome in den jeweiligen Brücken des Moleküls. Für die Stabilität der Verbindung muss die Summe dieser Zahlen, also S = x + y + z, mindestens 7 betragen. Deshalb findet man in verbrückten bicyclischen Systemen mit S < 7 in der Regel keine stabilen Doppelbindungen an der Brückenkopfposition—also genau dort, wo zwei Ringe eines Moleküls verbunden sind. Eine solche Doppelbindung würde zu einer starken geometrischen Verzerrung führen, die p-Orbital-Überlappung behindern und das Molekül instabil machen.

Neue Forschungsergebnisse stellen dieses langjährige Dogma nun infrage. Ein Forscherteam der University of California, Los Angeles (UCLA), hat Moleküle synthetisiert, die gegen die Bredt-Regel verstoßen und dabei unser Verständnis von molekularen Strukturen und Reaktionsmechanismen erweitert (LINK).

Bedeutung der Entdeckung

Die Möglichkeit, Moleküle zu synthetisieren, die die Bredt-Regel verletzen, ist von großer Bedeutung für die organische Chemie. Sie zeigt, dass selbst grundlegende Prinzipien unter bestimmten Bedingungen durchbrochen werden können, und erweitert so das Verständnis molekularer Strukturen. Diese Erkenntnis eröffnet den Zugang zu bislang unzugänglichen molekularen Architekturen, was sowohl für die Synthese neuer Arzneimittel als auch für die Entwicklung innovativer Materialien von Interesse ist.

Die Arbeit der UCLA-Forscher

Das Team um Professor Neil Garg an der UCLA gelang es, sogenannte Anti-Bredt-Olefine (ABOs) zu erzeugen – Moleküle mit einer Doppelbindung an der „verbotenen“ Brückenkopfposition. Die von den UCLA-Forschern entwickelte Synthesemethode für diese Anti-Bredt-Olefine basiert auf einer speziellen Eliminierungsreaktion, bei der Silyl(pseudo)halogenide als Vorläufermoleküle verwendet wurden. Diese Verbindungen enthalten eine Silylgruppe (R₃Si-) und eine Halogenid-Abgangsgruppe oder ein Pseudohalogenid.

Der entscheidende Schritt besteht in der Behandlung dieser Vorläufer mit einer Fluoridquelle. Das Fluorid-Ion greift die Silylgruppe an und bildet eine starke Silicium-Fluor-Bindung. Dieser Angriff löst eine β-Eliminierung aus, bei der die Abgangsgruppe entfernt wird und gleichzeitig die Doppelbindung an der Brückenkopfposition entsteht.


Da die gebildeten ABOs sehr reaktiv und instabil sind, setzten die Forscher ein Fangreagenz ein, das die ABOs sofort nach ihrer Entstehung einfängt. So konnten stabilere Produkte gebildet, analysiert und charakterisiert werden.

Potenzielle Anwendungen

Die Synthese von ABOs eröffnet neue Möglichkeiten zur Herstellung komplexer organischer Verbindungen und erweitert damit die Reichweite der synthetischen Chemie. In der pharmazeutischen Industrie könnten ABOs die Entwicklung neuer Wirkstoffe beschleunigen, vor allem solcher mit dreidimensionalen Strukturen, die eine spezifische Bindung an biologische Zielmoleküle ermöglichen. 

Fazit und Ausblick

  • Die Entdeckung der Anti-Bredt-Olefine durch das UCLA-Team zeigt, dass selbst fest verankerte Prinzipien hinterfragt und unter bestimmten Bedingungen überwunden werden können. Die Erforschung der Anti-Bredt-Olefine stellt zweifelsohne einen bedeutenden Fortschritt in der organischen Chemie dar, erfordert jedoch weitere Forschung, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. 
  • Einige wichtige Forschungsbereiche sind die Untersuchung der Stabilität dieser Moleküle, um herauszufinden, welche Faktoren ihre Lebensdauer beeinflussen, sowie das vertiefte Verständnis ihrer chemischen Eigenschaften und Reaktionsmöglichkeiten. Auch die Verbesserung und Skalierung der Synthesemethoden, die Anwendung computergestützter Methoden zur Modellierung ihrer Eigenschaften und die systematische Untersuchung möglicher Anwendungen in der Arzneimittelentwicklung bleiben zentrale Aufgaben für die Zukunft.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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