Lynch-Syndrom: Erbliches Krebsrisiko, genetisches Screening und moderne Therapien! Blog#153

Das Lynch-Syndrom entsteht durch Mutationen in den sogenannten DNA-Mismatch-Reparatur-Genen (MMR-Gene), insbesondere MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2. Diese genetische Veränderung erhöht das Risiko für verschiedene Krebsarten, vor allem für Darmkrebs und Gebärmutterkrebs. Häufig bleibt das Syndrom unentdeckt, da viele Betroffene weder eine auffällige familiäre Krankheitsgeschichte aufweisen noch Symptome bemerken.

In Deutschland ist etwa eine von 300 Personen betroffen – das entspricht rund 300.000 Menschen! Das Lynch-Syndrom ist für ungefähr 3 % aller Darmkrebsfälle verantwortlich. Dennoch wissen erschreckenderweise nur etwa 5 % der Betroffenen von ihrer Erkrankung. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, da sie gezielte Vorsorge und Präventionsmaßnahmen ermöglicht.

In diesem Blog erfährst du, warum die frühzeitige Erkennung des Lynch-Syndroms durch genetisches Screening so wichtig ist, welche Rolle es bei der Entstehung von Darmkrebs spielt und welche modernen Therapieoptionen zur Verfügung stehen.

Genetisches Screening

Bei Personen ohne Krebserkrankung, aber mit Verdacht auf Lynch-Syndrom, verläuft das genetische Screening in Deutschland wie folgt:
  • Detaillierte Familienanamnese: Erfassung aller Krebserkrankungen in der Familie über mindestens drei Generationen.
  • Anwendung klinischer Kriterien:
    • Amsterdam-II-Kriterien: Bewerten das Auftreten von Lynch-assoziierten Krebserkrankungen in der Familie.
    • Revidierte Bethesda-Kriterien: Berücksichtigen auch einzelne Krebsfälle und histopathologische Merkmale.
  • Genetische Beratung: Bei Erfüllung der Kriterien oder begründetem Verdacht erfolgt eine ausführliche genetische Beratung, die in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist.
  • Genetische Diagnostik: Nach Einwilligung wird eine Blutprobe entnommen und mittels Hochdurchsatz-Sequenzierung (NGS) und MLPA (Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification) auf Mutationen in den MMR-Genen (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) und ggf. EPCAM untersucht.
Die genetische Testung auf Lynch-Syndrom wird in Deutschland von spezialisierten Einrichtungen durchgeführt wie zum Beispiel Zentren des Deutschen Konsortiums Familiärer Darmkrebs oder Universitätskliniken mit humangenetischen Instituten. Diese Zentren verwenden modernste Technologien wie Next-Generation Sequencing (NGS), das eine sehr hohe Genauigkeit von über 99,9% bietet. Bei Lynch-Syndrom-Patienten werden Mutationen in vier Hauptgenen gefunden:
  • MLH1 (37% der Fälle)
  • MSH2 (41% der Fälle)
  • MSH6 (13% der Fälle)
  • PMS2 (9% der Fälle).
Das lebenslange Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, hängt vom betroffenen Gen ab:
  • MLH1 und MSH2: 50-80%
  • MSH6: 10-44%
  • PMS2: 15-20%.
In etwa 5-10% der Fälle werden Genvarianten gefunden, deren Bedeutung unklar ist (Varianten unklarer Signifikanz, VUS). Dies kann die Interpretation der Ergebnisse erschweren.

Bei einem bereits diagnostizierten Tumor wird eine umfassende molekularpathologische Untersuchung des Tumorgewebes durchgeführt, um ein mögliches Lynch-Syndrom zu identifizieren:
  • Immunhistochemische Analyse (IHC) der MMR-Proteine:
    • Untersucht werden MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2
    • Ein Verlust der Expression eines oder mehrerer dieser Proteine deutet auf eine MMR-Defizienz hin
    • Sensitivität: etwa 95%, Spezifität: etwa 100%.
  • Mikrosatelliteninstabilitäts-Testung (MSI):
    • Verwendet wird das Bethesda-Panel mit 5 Mikrosatellitenmarkern
    • MSI-High (MSI-H) liegt vor, wenn ≥2 der 5 Marker instabil sind
    • Sensitivität: etwa 97%, Spezifität: etwa 95%.
  • Bei MLH1-Expressionsverlust werden zusätzlich durchgeführt:
    • MLH1-Promotor-Methylierungsanalyse mittels methylierungsspezifischer PCR oder Bisulfit-Pyrosequenzierung
    • BRAF-V600E-Mutationsanalyse, typischerweise durch Allel-spezifische PCR oder Sanger-Sequenzierung.
Diese Analysen helfen, sporadische von hereditären Tumoren zu unterscheiden:
  • Ein MLH1-Expressionsverlust mit MLH1-Promotor-Hypermethylierung und/oder BRAF-V600E-Mutation (in etwa 70% der Fälle) deutet auf einen sporadischen Tumor hin.
  • Ein Expressionsverlust ohne diese Veränderungen weist auf ein Lynch-Syndrom hin.
Die Kombination dieser Methoden erreicht eine Sensitivität von >95% und eine Spezifität von >90% zur Identifizierung von Lynch-Syndrom-assoziierten Tumoren. Bei positivem Befund wird eine Keimbahnanalyse zur Bestätigung des Lynch-Syndroms empfohlen.

Präventionsmaßnahmen

Für Träger von Lynch-Syndrom-Mutationen sind intensive Früherkennungsmaßnahmen essentiell:
  • Komplette Koloskopie alle 12-24 Monate ab dem 25. Lebensjahr
  • Ösophagogastroduodenoskopie alle 12-36 Monate ab dem 25. Lebensjahr
  • Für Frauen: Transvaginale Sonographie und Endometriumbiopsie jährlich ab dem 30.-35. Lebensjahr
Ernährungsempfehlungen umfassen eine Begrenzung von rotem und verarbeitetem Fleisch, Reduzierung stark gesalzener und konservierter Lebensmittel, Begrenzung des Alkoholkonsums und eine ballaststoffreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse, wie z. B. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Äpfel, Karotten und Brokkoli.

Therapieoptionen für Darmkrebspatienten mit Lynch-Syndrom

Bei der Behandlung von Darmkrebs bei Lynch-Syndrom-Patienten spielen chirurgische Interventionen eine wichtige Rolle. Bei Mutationen in MLH1 oder MSH2 wird oft eine erweiterte Operation mit totaler Kolektomie empfohlen (die vollständige Entfernung des Dickdarms), während bei MSH6- oder PMS2-Mutationen eine segmentale Resektion (die Entfernung nur des betroffenen Darmabschnitts) ausreichend sein kann.

Bahnbrechende Fortschritte wurden in der Immuntherapie erzielt, insbesondere mit Checkpoint-Inhibitoren wie Nivolumab, Pembrolizumab und Dostarlimab. Dies sind monoklonale Antikörper, die den immunologischen Checkpoint-Mechanismus blockieren. Konkret richten sie sich gegen das Protein PD-1 (Programmed Cell Death Protein 1) auf T-Zellen oder dessen Liganden PD-L1 (Programmed Death-Ligand 1) auf Tumorzellen. Diese Medikamente nutzen die hohe Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) und Mismatch-Reparatur-Defizienz (dMMR) in Lynch-Syndrom-Tumoren aus, um eine starke Immunantwort gegen den Tumor zu induzieren.
  • Die NICHE-2-Studie zeigte beeindruckende Ergebnisse zur neoadjuvanten Immuntherapie bei Darmkrebspatienten mit Lynch-Syndrom. Durch die kombinierte Gabe von Ipilimumab (CTLA-4-Inhibitor) und Nivolumab (PD-1-Inhibitor) konnte bei fast 70 % der Hochrisikopatienten mit Tumoren im Stadium 3 ein vollständiges pathologisches Ansprechen (pCR) erreicht werden.
  • Die KEYNOTE-177-Studie demonstrierte die Überlegenheit von Pembrolizumab gegenüber Chemotherapie als Erstlinienbehandlung bei metastasiertem kolorektalem Karzinom mit MSI-H/dMMR. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 16,5 vs. 8,2 Monate (HR 0,60; p=0,002).
  • Die GARNET-Studie mit Dostarlimab zeigte eine objektive Ansprechrate von 44,0% bei verschiedenen fortgeschrittenen dMMR/MSI-H-Tumoren, mit einem medianen Ansprechen, das nach 27,7 Monaten noch nicht erreicht war.
  • Eine bahnbrechende Studie mit Dostarlimab bei lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom erzielte eine klinische komplette Remission bei 100% der auswertbaren Patienten mit dMMR.
Der MSI-H/dMMR-Status ist ein entscheidender prädiktiver Biomarker für das Ansprechen auf Immuntherapien und sollte bei allen Lynch-Syndrom-assoziierten Darmkrebspatienten bestimmt werden.

Fazit

Die genetische Diagnose des Lynch-Syndroms bietet bedeutende Vorteile:
  • Ermöglicht gezielte Präventions- und intensive Früherkennungsmaßnahmen
  • Eröffnet Zugang zu hocheffektiven, personalisierten Therapien wie Immuntherapien
  • Erlaubt informierte Entscheidungen bezüglich Familienplanung und Lebensstil
Allerdings sind auch potenzielle Herausforderungen zu berücksichtigen:
  • Psychische Belastung durch die Kenntnis eines erhöhten Krebsrisikos
  • Mögliche Auswirkungen auf zum Beispiel Versicherungen und berufliche Situation
  • Ethische Fragen bezüglich der Information von Familienangehörigen
Eine umfassende genetische Beratung ist daher unerlässlich:
  • Unterstützt Betroffene bei der Entscheidung für oder gegen eine Testung
  • Erklärt die Bedeutung und möglichen Konsequenzen der Testergebnisse
  • Bietet psychosoziale Unterstützung und Ressourcen
Die Entscheidung für oder gegen eine genetische Testung sollte individuell und gut informiert getroffen werden. Bei positivem Befund ist eine lebenslange, interdisziplinäre Betreuung durch ein spezialisiertes Team empfehlenswert, um das Krebsrisiko zu minimieren und die Lebensqualität zu optimieren.

_________________________________________________________________________

Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
Auf diesem Blog teile ich meine persönlichen Meinungen und Erfahrungen . Es ist wichtig zu betonen, dass ich weder Arzt noch Finanzberater bin. Jegliche Informationen, die ich in meinem Blog vorstelle, stellen weder Anlageempfehlungen noch Therapieempfehlungen dar. Für fundierte Entscheidungen in Bezug auf Gesundheitsfragen oder Finanzanlagen empfehle ichsich umfassend zu informieren und bei Bedarf einen professioniellen Experten zu konsultieren.
________________________________________________________________________________

Posts

Steueroptimierung für Dein Aktien-ETF-Portfolio! Blog#87

Der Interne Zinsfuß und seine Bedeutung für Aktien-Anleger! Blog#67

Vermögensaufbau und Altersvorsorge – meine Erfahrungen der letzten 35 Jahre! Blog#2

Paxlovid - eine hochwirksame Pille für Covid-19? Blog#1

NNC2215: Ein intelligentes Insulin zur Transformation der Diabetesbehandlung! Blog#127

Aktien-Weltportfolio mit ETFs! Blog#45

Krankenversicherung als Rentner - besser privat oder gesetzlich krankenversichert? Blog#8

„Die with Zero“: Die Kunst, Geld für Lebenserlebnisse zu nutzen. Blog#92

Wegovy® (Semaglutid) - ein neues, gut wirksames Medikament zur Gewichtsreduktion! Blog#13

Sarin - ein chemischer Kampfstoff! Blog#14