KI-gestütztes Enzymdesign: Ein innovativer Ansatz zum Kunststoff/PET-Abbau! Blog#164

Kunststoffe sind allgegenwärtig. PET (Polyethylenterephthalat), ein Polyester aus Ethylenglykol und Terephthalsäure, gehört zusammen mit Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) zu den am häufigsten verwendeten Kunststoffen weltweit. Jährlich werden etwa 70 Millionen Tonnen PET, 140 Millionen Tonnen PE und 80 Millionen Tonnen PP hergestellt. Diese drei Kunststoffe dominieren aufgrund ihrer Vielseitigkeit, Stabilität und günstigen Herstellungskosten zahlreiche Anwendungen des täglichen Lebens. 
Besonders PET überzeugt durch Bruchfestigkeit, chemische Beständigkeit und gute Formbarkeit, weshalb es vor allem in der Verpackungs- und Textilindustrie weit verbreitet ist. Seine chemische Stabilität – eine Folge der aromatischen Terephthalat-Einheiten und der kristallinen Domänen – macht PET jedoch schwer abbaubar. Es zerfällt über Jahrzehnte und Jahrhunderte in Mikro- und Nanoplastik, das mittlerweile in Böden, Ozeanen und sogar im menschlichen Blut nachgewiesen wurde. Ähnliche Probleme bereiten PE und PP, die als "Alltags-Kunststoffe" in Folien und Behältern nahezu überall vorkommen. Die Folge ist eine globale Umweltkrise, die innovative Lösungen erfordert.

Bisherige Ansätze zum PET Recycling

Mechanisches Recycling, bei dem PET zerkleinert wird, führt häufig zu Qualitätsverlusten, da die Polymerketten verkürzt werden und damit die mechanischen Eigenschaften nachlassen. Die Effizienz mechanischen Recyclings liegt bei einem Erhalt von etwa 60–70 % der ursprünglichen Materialqualität. Chemisches Recycling zerlegt PET zwar in seine Grundbausteine und ermöglicht die Wiederherstellung von nahezu neuwertigem Material, ist jedoch energieintensiv und teuer. Der Energieverbrauch solcher Verfahren liegt bei etwa 50–70 MJ/kg PET, verglichen mit 10–20 MJ/kg beim mechanischen Recycling. 

Hoffnungsträger der letzten Jahre sind Enzyme, die PET spalten können. Natürliche Enzyme wie PETase oder LCC (Leaf-Branch Compost Cutinase) greifen bevorzugt amorphe PET-Regionen an, benötigen jedoch Tage bis Wochen für einen signifikanten Abbau und zeigen eingeschränkte Temperatur- und pH-Stabilität.

Mit KI entwickeltes Enzym: Die Baker-Gruppe revolutioniert das Enzymdesign

Die bahnbrechende Forschung von Nobelpreisträger David Baker und seinem Team an der University of Washington in Seattle, USA, setzt genau hier an. In einer Studie, die diese Woche in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde (LINK), haben sie mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) maßgeschneiderte Serinhydrolasen entwickelt, die darauf abzielen, PET und andere Polyester-Kunststoffe deutlich effizienter abzubauen.

Serinhydrolasen sind Enzyme, die Ester- oder Amidbindungen in Molekülen spalten und dabei eine Serin-Aminosäure in ihrem aktiven Zentrum nutzen. Diese Enzyme sind insbesondere für den Abbau von Polyester-basierten Kunststoffen wie PET geeignet, da sie gezielt die Esterbindungen in den Polymerketten angreifen. Neben PET können sie auch auf andere Polyester wie PEF (Polyethylenfuranoat) oder PLA (Polylactid) angewendet werden, während sie bei Kunststoffen ohne Esterbindungen, etwa PE oder PP, keine Wirkung zeigen.

Das Design der Enzyme: Präzision durch künstliche Intelligenz

KI-gestütztes Proteindesign: Das Forschungsteam nutzte RFdiffusion, ein KI-Tool, das neue Proteinstrukturen um katalytische Zentren generiert. Grundlage ist die Serin-Histidin-Aspartat-Triade – ein häufig vorkommendes Enzym-Motiv. Diese Triade arbeitet zusammen: Serin fungiert als Nukleophil und bindet an das Substrat, Histidin überträgt Protonen und Aspartat stabilisiert die Struktur. Durch die Variation der räumlichen Anordnung dieser Aminosäuren konnte die KI Millionen Enzymvarianten erzeugen, die gezielt auf die Spaltung der Esterbindungen in PET ausgerichtet sind.

Vorhersage von Stabilität und Effizienz: Mit dem KI-Modell PLACER simulierte das Team die Reaktionsschritte im PET-Abbau. Das Modell prognostiziert die dreidimensionale Konformation von Enzym-Substrat-Komplexen sowie Übergangszustände und bewertet die Präorganisation – die räumliche Ausrichtung der reagierenden Gruppen. Kandidaten mit hoher Stabilität und günstigen Energieprofilen wurden priorisiert, wodurch der experimentelle Aufwand reduziert und der Entwicklungsprozess erheblich beschleunigt wurde.

Ergebnisse: Ein Quantensprung in der Enzymforschung

Insgesamt wurden über 10.000 Varianten in silico designt, von denen etwa 200 vielversprechende Enzyme synthetisiert und in Escherichia coli exprimiert wurden. Nach der Proteinproduktion erfolgte eine Reinigung mittels Affinitätschromatographie und anschließende Aktivitätstests. Die herausragendsten Enzyme bieten sowohl hohe katalytische Effizienz als auch thermische Stabilität und eröffnen neue Perspektiven für die industrielle Nutzung.

Die besten Enzymvarianten erreichten eine Spezifitätskonstante (kcat/Km) von bis zu 2,2×10⁵ M⁻¹s⁻¹ – eine 200-fache Verbesserung gegenüber der natürlichen PETase (etwa 10³ M⁻¹s⁻¹). Zudem sind die neuen Enzyme temperaturbeständig bis 70 °C und funktionieren im pH-Bereich von 7,5–8,0 – ideal für industrielle Anwendungen. 


Bemerkenswert ist, dass die entwickelten Serinhydrolasen strukturell keine Ähnlichkeit zu natürlichen Hydrolasen aufweisen und völlig neue Faltungen zeigen. 

Herausforderungen bei der industriellen Umsetzung

Materialbedingte Grenzen: Kristallines PET, das bis zu 35 % in Flaschen ausmacht, ist für Enzyme schwer zugänglich. Eine thermische oder mechanische Vorbehandlung ist nötig, um kristalline Bereiche in amorphe Strukturen zu überführen und so den Abbau zu erleichtern.

Skalierungsprobleme und Lösungsansätze: Derzeit liefert die Expression in E. coli nur Milligramm-Mengen pro Liter Kultur. Für industrielle Anwendungen müssten:
  • Die Produktionsausbeuten um den Faktor 10⁶ gesteigert werden.
  • Alternativ Trägerorganismen wie Bacillus subtilis zur kostengünstigen Massenproduktion genutzt werden.
  • Kontinuierliche Fermentationsverfahren eingeführt werden, um die Skalierung zu optimieren.

Zukunftsperspektiven: Breites Anwendungsspektrum

Die von Baker entwickelte Methode bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten:
  • Recyclinganlagen: Schneller Abbau von PET-Abfällen zu Monomeren für ein effektives Kunststoffrecycling.
  • Umweltschutz: Abbau von Mikroplastik in aquatischen Systemen.
  • Biotechnologie: Entwicklung neuer Enzyme für medizinische und industrielle Anwendungen.

Fazit

  • Die Arbeit der Baker-Gruppe zeigt eindrucksvoll das Potenzial von KI im Enzymdesign. Erstmals können Enzyme gezielt entworfen werden, um spezifische Substrate wie PET effizient zu spalten. Die Kombination aus hoher katalytischer Effizienz, thermischer Stabilität und industrietauglichen pH-Bedingungen ist ein bedeutender Fortschritt. 
  • Dennoch stehen Herausforderungen wie die Skalierung der Produktion, die Verarbeitung kristalliner Kunststoffe und wirtschaftliche Umsetzbarkeit einer sofortigen Anwendung noch im Weg.

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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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