Die Zwiebel: Biochemie eines Alltagsgemüses. Blog#179

Die Küchenzwiebel (Allium cepa) ist weltweit verbreitet und wird seit Jahrtausenden kultiviert. Vermutlich stammt sie ursprünglich aus Zentralasien. In der Küche gilt sie als unverzichtbarer Allrounder – doch auch aus chemischer Sicht ist sie außerordentlich interessant. Dieser Artikel beleuchtet die chemischen Prozesse, die beim Schneiden einer Zwiebel Tränen hervorrufen, stellt ihre bioaktiven Inhaltsstoffe vor und erklärt, wie sie zur Förderung der Gesundheit beitragen kann.

Chemisches Nährstoffprofil: Was steckt in der Zwiebel?

Etwa 60 % der Trockensubstanz der Zwiebel besteht aus Kohlenhydraten, hauptsächlich in Form von Fructanen (auch Fructosane genannt). Anders als viele andere Pflanzen speichert die Zwiebel keine Stärke. Die Fructane wirken osmotisch weniger aktiv, verbessern die Wasserregulation und erhöhen die Stresstoleranz gegenüber Trockenheit und Kälte. Zudem lassen sie sich schnell mobilisieren – eine effiziente Energiequelle.

Zwiebeln liefern zudem viele Mikronährstoffe: Pro 100 g Frischgewicht etwa 7–10 mg Vitamin C, 0,1 mg Vitamin B6, 19 µg Folat sowie 146 mg Kalium, 23 mg Kalzium, 29 mg Phosphor und 0,2 mg Eisen. Auch Spuren von Fluor sind enthalten. Der Ballaststoffgehalt liegt bei ca. 1,7 g pro 100 g, bei einem geringen Energiegehalt von rund 30 kcal.

Warum bringt uns die Zwiebel zum Weinen?

Beim Schneiden einer Zwiebel wird eine enzymatische Reaktionskaskade aktiviert. In intakten Zellen sind die schwefelhaltige Aminosäure Isoalliin (trans-(+)-S-(1-Propenyl)-L-cysteinsulfoxid) und das Enzym Alliinase voneinander getrennt gespeichert.

Durch die mechanische Zellschädigung beim Zerteilen der Zwiebel gelangen die schwefelhaltige Aminosäure Isoalliin (S-(1-Propenyl)-L-cysteinsulfoxid) und das Enzym Alliinase in direkten Kontakt. Das Enzym katalysiert daraufhin eine β-Eliminierungsreaktion, bei der die instablile 1-Propensulfensäure entsteht. Im nächsten Schritt wird diese Zwischenverbindung durch das Enzym Lachrymatory Factor Synthase (LFS) in das flüchtige Propanthial-S-oxid umgewandelt – den eigentlichen Tränenreizstoff.

Gelangt das gasförmige Propanthial-S-oxid in die Augen, löst es sich in der Tränenflüssigkeit und wird hydrolysiert. Dabei entstehen Propionaldehyd, Schwefelwasserstoff und Schwefelsäure. Die entstehende Schwefelsäure (pH ≈ 1,5) depolarisiert die TRPA1-Ionenkanäle in den sensorischen Nervenendigungen der Hornhaut. Dies aktiviert über den Nervus trigeminus einen neuronalen Reflex, der zu verstärkter Tränenproduktion und erhöhter Nasensekretion führt – eine physiologische Schutzreaktion zur Verdünnung und Ausspülung des Reizstoffs.

Abbildung: Reaktion des Isoalliins zum tränenreizenden Propanthial-S-oxid. 

Evolutionär dient dieser Mechanismus dem Pflanzenschutz: Die Reizstoffe wirken abschreckend auf Fraßfeinde und hemmen das Wachstum pathogener Mikroorganismen.

Antioxidative Eigenschaften: Schutz vor oxidativem Stress

Zwiebeln enthalten zahlreiche antioxidative Substanzen, die freie Radikale neutralisieren und Zellschäden vorbeugen können. Zu den wichtigsten Antioxidantien zählen:
  • Flavonoide wie Quercetin, Kaempferol und Isorhamnetin (vor allem in den äußeren Schichten)
  • Anthocyane (v. a. in roten Zwiebeln)
  • Organische Schwefelverbindungen (entstehen bei Zellverletzung)
Die antioxidative Wirkung hängt von Sorte und Verarbeitung ab. Interessanterweise besitzen Zwiebelschalen besonders hohe Konzentrationen an antioxidativen Verbindungen – bis zu doppelt so viel wie das essbare Innere – werden jedoch selten konsumiert. Studien legen nahe, dass diese Antioxidantien zur Vorbeugung chronischer Erkrankungen beitragen können.

Antimikrobielle Wirkung: Natürlicher Schutz gegen Krankheitserreger

Zwiebeln zeigen nachweislich antimikrobielle Eigenschaften. Wichtige Wirkstoffe sind:
  • Thiosulfinate: entstehen beim Schneiden und wirken ähnlich wie Allicin aus Knoblauch. Sie stören bakterielle Membranen und hemmen Enzymsysteme.
  • Flavonoide (z. B. Quercetin): unterstützen die antimikrobielle Wirkung.
  • Schwefelhaltige Verbindungen: tragen zur keimhemmenden Wirkung bei.
Die antimikrobielle Wirkung im menschlichen Körper ist zwar schwächer als in Laborversuchen, dennoch kann der regelmäßige Verzehr von Zwiebeln das Immunsystem unterstützen.

Weitere gesundheitsfördernde Effekte

  • Herz-Kreislauf-System: Studien deuten darauf hin, dass die enthaltenen Flavonoide und Schwefelverbindungen positive Effekte auf den Blutdruck und den Cholesterinspiegel haben können
  • Atemwege: Traditionell wird Zwiebelsaft bei Erkältungen verwendet. Die entzündungshemmenden und antibakteriellen Eigenschaften können bei Atemwegsinfektionen unterstützend wirken.
  • Verdauung und Harnwege: Der hohe Kaliumgehalt hat eine leicht entwässernde Wirkung. Die enthaltenen Fructane können als Präbiotika fungieren und die Darmflora positiv beeinflussen, können aber auch zu Blähungen führen.
  • Krebsprävention: Es gibt Hinweise aus In-vitro- und Tierstudien, dass Inhaltsstoffe der Zwiebel bei der Prävention bestimmter Krebsarten unterstützend wirken könnten. Die Evidenz beim Menschen ist jedoch noch begrenzt.
Die Stärke der Effekte variiert je nach Sorte, Zubereitung und verzehrter Menge.

Risiken und Nutzen abwägen: Sollten wir regelmäßig Zwiebeln essen?

Vorteile:
  • Hoher Gehalt an Antioxidantien
  • Antimikrobielle Eigenschaften
  • Potenzielle kardiovaskuläre Schutzfunktionen
  • Immunstärkende Wirkung

Mögliche Nachteile:
  • Mund- oder Körpergeruch
  • Blähungen, Sodbrennen bei empfindlichen Personen
  • Seltene Allergien
  • Toxisch für Haustiere wie Hunde, Katzen und Kaninchen
Empfehlung: Ein moderater Verzehr von Zwiebeln gilt als gesundheitsförderlich, sofern keine Unverträglichkeit vorliegt. Sowohl roh als auch gegart ist die Zwiebel eine wertvolle Zutat.

Fazit: Mehr als nur ein würzendes Gemüse

Die Zwiebel ist ein faszinierendes Beispiel für die funktionelle Wirkung pflanzlicher Inhaltsstoffe. Ihre komplexe chemische Zusammensetzung verleiht ihr antioxidative, antimikrobielle und weitere gesundheitsfördernde Eigenschaften. Die tränenreizende Wirkung beim Schneiden – ausgelöst durch eine bemerkenswerte biochemische Reaktionskaskade – ist nur ein Aspekt ihrer reichhaltigen Phytochemie. Trotz kleinerer Nachteile bietet die Zwiebel ein breites Spektrum positiver Gesundheitseffekte und ist damit ein wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung.
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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