Gürtelrose-Impfung reduziert Demenzrisiko – Neue Perspektiven für Prävention und gesundes Altern. Blog#175

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Demenz zählt zu den großen medizinischen Herausforderungen unserer Zeit – mit bislang nur begrenzten therapeutischen Möglichkeiten. Weltweit sind über 55 Millionen Menschen betroffen, allein in Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Umso bemerkenswerter ist eine kürzlich in Nature publizierte Studie, die erstmals auf Basis eines quasi-randomisierten Studiendesigns überzeugend zeigt, dass die Impfung gegen Herpes Zoster (Gürtelrose) das Demenzrisiko signifikant senken kann – um rund 20 % über einen Zeitraum von sieben Jahren (LINK). Neu ist dabei vor allem die methodische Qualität der Evidenz: Im Gegensatz zu früheren, rein beobachtenden Studien erlaubt diese Untersuchung eine wesentlich robustere Aussage zur möglichen Schutzwirkung der Impfung.

Die wissenschaftliche Grundlage ist solide: Die britische Impfkampagne in Wales ab 2013 nutzte ein eindeutiges Geburtsdatumskriterium, das ein natürliches Experiment ermöglichte. Personen, die vor dem 2. September 1933 geboren wurden (also bereits 80 Jahre alt waren), waren dauerhaft von der Impfung ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu waren Menschen, die am oder nach dem 2. September 1933 geboren wurden, für mindestens ein Jahr impfberechtigt. In der ersten Phase des Programms betraf das konkret Personen mit einem Geburtsdatum zwischen dem 2. September 1933 und dem 1. September 1934, die ab dem 1. September 2013 Anspruch auf die Impfung hatten. In den Folgejahren wurde das Programm schrittweise auf jüngere Jahrgänge ausgeweitet. Die Festlegung des Stichtags erfolgte nicht aus medizinischen Gründen, sondern beruhte auf organisatorischen Überlegungen – etwa der begrenzten Verfügbarkeit des Impfstoffs und der Annahme einer geringeren Wirksamkeit im höheren Alter.

Die Analyse dieses natürlichen Experiments konzentrierte sich vor allem auf den Vergleich von Menschen, die knapp vor dem Stichtag geboren wurden und damit nicht impfberechtigt waren, mit solchen, die knapp danach geboren wurden und Zugang zur Impfung hatten. Diese künstliche Altersgrenze ermöglichte ein sogenanntes „natürliches Experiment“ – ein seltener Glücksfall in der epidemiologischen Forschung. Die Forscher konnten nämlich zwei nahezu identische Gruppen vergleichen, die sich lediglich darin unterschieden, ob sie Zugang zur Impfung hatten. Diese Art der quasi-randomisierten Zuteilung schafft eine besonders belastbare Evidenzbasis.

Forscher analysierten über einen siebenjährigen Beobachtungszeitraum die Gesundheitsdaten von rund 280.000 Personen zwischen 71 und 88 Jahren. Die Ergebnisse sind eindrucksvoll: Geimpfte hatten nicht nur seltener eine Demenzdiagnose, sondern entwickelten bei späterer Erkrankung diese auch verzögert. Genauer gesagt zeigte die Studie, dass der Erhalt der Zoster-Impfung die Wahrscheinlichkeit einer neuen Demenzdiagnose über den siebenjährigen Follow-up-Zeitraum um schätzungsweise 3,5 Prozentpunkte senkte – von etwa 17,5 % auf 14,0 %. Das entspricht einer relativen Reduktion des Risikos um rund 20 %, also einem Fünftel im Verhältnis zur ursprünglichen Erkrankungswahrscheinlichkeit. Die Ergebnisse sind statistisch signifikant (P = 0,019) und liefern vielversprechende Hinweise auf einen potenziellen demenzpräventiven oder zumindest demenzverzögernden Effekt der Impfung. Auch wenn ein kausaler Zusammenhang auf Grundlage dieser Daten noch nicht endgültig bewiesen ist, stellen sie einen wichtigen Impuls für weitere Forschung und präventive Strategien dar.

Besonders deutlich war der schützende Effekt der Impfung bei Frauen. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass Menschen mit Allergien oder Autoimmunerkrankungen etwas weniger stark profitierten als andere. Das legt nahe, dass die Impfung nicht nur über den Schutz vor dem Zoster-Virus wirkt, sondern auch das Immunsystem auf andere Weise beeinflusst – je nach individueller Immunlage möglicherweise unterschiedlich stark.

Als mögliche Mechanismen werden zwei Hauptpfade diskutiert: Zum einen könnte die Impfung Reaktivierungen des Varizella-Zoster-Virus verhindern, die ansonsten entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem auslösen – sogenannte virale Neuroinflammationen. Diese Entzündungsprozesse gelten als potenzielle Mitverursacher neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder anderen Demenzformen. Zum anderen wird vermutet, dass die Impfung das Immunsystem auch unabhängig vom spezifischen Viruskontakt stimuliert – eine Art unspezifischer Trainingseffekt des Immunsystems, der langfristig auch neuroprotektive Effekte haben könnte. Beide Hypothesen finden in der Literatur zunehmend Unterstützung – insbesondere durch vergleichbare Beobachtungen bei anderen Impfstoffen wie Influenza- oder Pneumokokken-Impfungen, die ebenfalls mit einem reduzierten Demenzrisiko assoziiert sind.

Interessanterweise bezieht sich die aktuelle Studie auf den Lebendimpfstoff Zostavax, da der modernere Totimpfstoff Shingrix im Vereinigten Königreich erst nach dem Ende des Beobachtungszeitraums dieser Studie verfügbar wurde.  Eine weitere Studie, veröffentlicht 2024 in Nature Medicine (LINK) analysierte die Umstellung von Zostavax auf Shingrix in den USA ab 2017. Sie zeigte, dass der Schutz vor Demenz unter Shingrix-Geimpften stärker ausfiel als unter jenen, die den älteren Impfstoff erhalten hatten. Die Untersuchung basiert ebenfalls auf einem natürlichen Experiment und gilt – trotz methodischer Unterschiede – als solide Ergänzung zur Nature-Studie mit Zostavax.

Shingrix enthält kein lebendes Virus, sondern ist ein rekombinanter, adjuvantierter Impfstoff, der gezielt das Immunsystem stimuliert. Studien deuten darauf hin, dass Shingrix eine robustere und länger anhaltende Immunantwort erzeugt als Zostavax – insbesondere bei älteren Menschen, deren Immunsystem altersbedingt bereits abgeschwächt ist. Dies könnte erklären, warum der Schutz vor Demenz unter Shingrix-Nutzerinnen und -Nutzern noch ausgeprägter war.

Fazit

  • Auch wenn Kausalität noch nicht zweifelsfrei belegt ist, legen die aktuellen Ergebnisse nahe, dass die Gürtelrose-Impfung ein bislang unterschätztes präventives Potenzial im Kontext neurodegenerativer Erkrankungen besitzt. Ein nächster, sinnvoller Schritt wären gezielte prospektive Studien mit klar definierten Diagnosekriterien und einer längeren Beobachtungsdauer. Sie könnten helfen, den vermuteten ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und einem reduzierten Demenzrisiko weiter zu bestätigen. Gleichzeitig ließen sich so auch mögliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Demenzformen besser erfassen – etwa zwischen der Alzheimer-Krankheit, bei der sich bestimmte Eiweißablagerungen im Gehirn ansammeln, und der vaskulären Demenz, die vor allem durch Durchblutungsstörungen und kleine Schlaganfälle verursacht wird. Zusätzlich sollte untersucht werden, ob auch andere Impfstoffe mit immunmodulatorischer Wirkung einen vergleichbaren Schutzeffekt auf das Gehirn ausüben können.
  • Vor dem Hintergrund der bislang begrenzten Wirksamkeit und der hohen Kosten der jüngst zugelassenen Antikörpertherapien gegen Alzheimer – etwa Aducanumab und Lecanemab – erscheint der präventive Ansatz über eine etablierte Impfung als eine potenziell interessante Ergänzung: vergleichsweise kostengünstig, sicher und grundsätzlich breit anwendbar. Während die monoklonalen Antikörper bestenfalls eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs um einige Monate bewirken, könnte die Impfung potenziell einer größeren Zahl an Menschen das Auftreten der Krankheit ersparen – vorausgesetzt, die beobachteten Zusammenhänge bestätigen sich weiter. Hinzu kommt: Antikörpertherapien stehen derzeit nur wenigen Patienten zur Verfügung, da sie teuer, aufwendig in der Anwendung und nicht frei von Nebenwirkungen sind.
  • Für die Alzheimer-Forschung bedeutet das eine perspektivische Erweiterung des Paradigmas: Weg von rein krankheitsmodifizierenden Therapien im Spätstadium – hin zu frühzeitiger, vielleicht sogar populationsweiter Prävention. Dieser Ansatz verdient deutlich mehr Aufmerksamkeit und Forschungsförderung.
  • Eine Empfehlung zur allgemeinen Impfung ausschließlich zur Demenzprävention lässt sich auf Basis der aktuellen Daten noch nicht aussprechen. Aus meiner persönlichen Sicht erscheint es jedoch plausibel, die Shingrix-Impfung zumindest in die individuelle Präventionsstrategie einzubeziehen, insbesondere bei älteren Menschen mit erhöhtem Risiko oder familiärer Vorbelastung für neurodegenerative Erkrankungen. Ob eine Impfung sinnvoll ist, sollte gemeinsam mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt entschieden werden – abhängig vom Gesundheitszustand, möglichen Risiken und aktuellen Impfempfehlungen. Hinsichtlich der derzeitigen Impfrate zu Herpes Zoster ergab eine Literaturrecherche eine sehr geringe Quote von 0,8–7,2 % der Über-60-Jährigen in Deutschland (LINK).
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Verantwortlicher: Klaus Rudolf; Kommentare und Fragen bitte an: rudolfklausblog@gmail.com
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